Dark Moon
Song gespielt wurde, in dem sich jemand über schäbige Arbeitsbedingungen beklagte. Es war niemand in meiner Nähe. Kein Kunde, kein Verkäufer. Noch nicht mal einer dieser Regalaffen, die für einen Hungerlohn acht Stunden am Tag neue Waren einräumen mussten. Und doch hatte ich das ungute Gefühl, dass ich beobachtet wurde. Ein Schauer rieselte mir den Rücken herab, und das lag nicht daran, dass hier drinnen die Klimaanlage auf vollen Touren lief und mein T-Shirt noch feucht war. Ich wollte schon »Hallo?« rufen, riss mich aber gerade noch rechtzeitig zusammen. Schließlich befand ich mich in einem hell erleuchteten Supermarkt und nicht in der Geisterbahn.
Trotzdem hatte dieser Ort etwas Gespenstisches. Man erwartete schreiende Kinder und genervte Mütter oder Rentnerpaare, die zwischen all den Sonderangeboten und Rabattaktionen die Zeit totschlugen. Doch ich war allein. Oder doch nicht?
Irgendjemand lief mir nach. Jemand, den ich nicht sehen konnte. Ich hörte das Klacken hoher Absätze, die sich langsam fortbewegten, und das Quietschen eines Einkaufswagens. Ich bog um die nächste Ecke, wo Zucker, Mehl und Backmischungen die Regalmeter füllten.
Keiner da.
Auch der nächste Gan g – Nudeln, Pastasoßen und Fertigsuppe n – war leer. Irgendjemand schien sich ein Spielchen mit mir zu erlauben. Bewegte ich mich auf das Geräusch des Einkaufswagens zu, entfernte es sich von mir. Schlug ich eine andere Richtung ein, folgte es mir.
Erst als mir ein pickliger Bursche in der blauen Weste der Supermarktmitarbeiter entgegenkam, verstummte das Geräusch.
»Guten Morgen«, sagte ich.
Er blieb stehen und sah mich an, als nähme er mich erst jetzt wahr. Auf seinem Namensschild stand »Cal«.
»Morgen«, brummte er zurück.
»Nicht viel los heute, was?«
Cal warf einen Blick über die Schulter, als spräche ich zu jemand anderem. Als er sich vergewissert hatte, dass ich wirklich ihn meinte, lächelte er.
»Muss am Wetter liegen. Außerdem sind Ferien. Aber mir ist’s recht. Da hab ich nicht so viel zu tun. Bist du öfter hier?« Cal grinste breit.
»Nein, eigentlich nicht.«
»Darf ich dir ein paar Sonderangebote zeigen?«
Ich hatte das Gefühl, dass das einzige Sonderangebot vor mir stand. »Danke, aber ich wurde schon bedient.«
Zu meinem Erstaunen lachte Cal, obwohl der Witz auf seine Kosten ging. »Wir sehen uns«, sagte er und schlurfte davon, die Gummisohlen seiner Sneakers machten ein quietschendes Geräusch auf den Fliesen.
Ich hielt noch kurz bei den Fertiggerichten, um mir eine Packung Cheese Maccaroni fürs Mittagessen zu besorgen, legte sie dann aber doch wieder zurück. Grandma hatte bestimmt schon etwas vorbereitet, was besser schmeckte.
Cal behielt Recht. Ich sah ihn wirklich wieder. Er saß hinter der einzigen geöffneten Kasse und winkte mir lässig zu. Ich versuchte ihn nicht zu beachten und legte die Waren auf das Band. Jetzt kamen auch immer mehr Kunden. Der Eindruck geisterhafter Leere verflüchtigte sich, so als erwachte der Supermarkt aus einem langen Schlaf. Trotzdem standen einige Frauen, die dieselben blauen Westen wie Cal trugen, vor der Tür des Personalraums beisammen und schwatzten.
»Das macht vierzehn fünfunddreißig«, sagte Cal. Ich zog mein Portmonee aus der Hosentasche und gab ihm fünfzehn Dollar. Während ich auf das Wechselgeld wartete, packte ich meine Einkäufe in eine braune Papiertüte.
»Hier bitte«, sagte er und gab mir den Kassenbon und einige Münzen. »Bis zum nächsten Mal.« Dabei grinste er dümmlich.
Ich lächelte säuerlich zurück. Erst als ich mit dem Fahrstuhl hinauf zum Dachparkplatz fuhr, steckte ich das Geld ins Portmonee zurück.
Es goss noch immer in Strömen, sodass ich einen Extraspurt zu meinem Auto hinlegen musste. Die Einkäufe stellte ich auf den Beifahrersitz. Im Wagen war es so feucht, dass die Scheiben von innen beschlagen waren. Ich startete den Motor und schaltete die Heizung auf die höchste Stufe, aber das machte alles nur noch schlimmer. Fluchend wischte ich mit der flachen Hand über die Innenseite der Frontscheibe, die aber sofort wieder beschlug. Erst als ich den Lappen aus dem Handschuhfach benutzte, ging es besser.
Ich schaltete den Wischer auf volle Leistung und fuhr an. Auch wenn die Heizung ihr Bestes tat und ich mich schon fühlte wie in einer Sauna, kondensierte das Wasser noch immer an den kalten Scheiben.
Vorsichtig ließ ich den Käfer die Rampe hinabrollen. Ich duckte mich und spähte durch ein freigewischtes
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