Dark one 02 - Kein Vampir für eine Nacht-neu-ok-06.12.11
sollte man die Schultern nicht so hängen lassen. Dadurch wirkt der Busen
noch kleiner.“
Ich ließ mich mitsamt meinem kleinen Busen ins Wasser sinken und
überlegte, ob ich ganz abtauchen sollte, aber wenn ich in der Badewanne
ertrank, blieb mein Geist mit Esme in diesem Hotelzimmer gefangen, und bei der
Vorstellung, die Ewigkeit mit ihr verbringen zu müssen, bekam ich eine
Gänsehaut auf den Armen.
„Esme, ich nehme ein Bad!“, sagte ich schließlich und wedelte mit
meinem Schwamm. „Sehen Sie? Wasser. Schaum. Badewanne. Ich.“
„Oh, lassen Sie sich nicht von mir stören, meine Liebe, ich mache es
mir hier drüben bequem. Worüber wollen wir uns unterhalten? Ach, ist das Ihre
Kosmetiktasche? Mit Kosmetik kenne ich mich aus. Lassen Sie mich mal sehen, was
Sie alles haben. Ich kann Ihnen sagen, welche Farben gut zu Ihrem Teint und
Ihren... äh... Augen passen.“
Das hatte mir gerade noch gefehlt, ein mütterlicher Geist!
„Nein, nein, dieser Eyeliner ist nicht das Richtige für Sie. Gut, für
das dunkle Auge ist er in Ordnung, aber für das weiße Auge ist er viel zu
hart.“
„Es ist nicht weiß, sondern silbern. Oder grau, wenn Ihnen das lieber
ist. Wie der Doktor sagte, hat mein linkes Auge einfach eine extrem helle
Graufärbung, während das rechte ganz normal braun ist.“
Esme sah von meiner Toilettentasche auf. „Allie, meine Liebe, Ihre
Augen sind alles andere als normal.“
„Nun, das linke sieht ein bisschen unheimlich aus, aber das rechte...“
„Hat eine Farbgebung, die bei Menschen einfach nicht vorgesehen, ist.“
Ich versank bis zur Nase im Schaum und schnitt eine Grimasse, die Esme
nicht sehen konnte. Solche Kommentare hatte ich mir mein Leben lang anhören
müssen, aber deshalb taten sie heute nicht weniger weh als früher.
„Oje, jetzt habe ich Ihre Gefühle verletzt. Das war nicht nett von
mir. Allie, bitte verzeihen Sie mir!“
Ich reckte das Kinn aus dem Wasser. „Esme, Sie stehen quasi in meinen
Beinen! Ich weiß ja, dass Sie sowieso nichts fühlen, aber auch ich habe
allmählich kein Gefühl mehr in den Zehen.“
„Ich gehe erst weg, wenn Sie sagen, dass Sie mir diese unschöne
Bemerkung verzeihen.“
„Ich verzeihe Ihnen. Glauben Sie mir, ich habe schon Schlimmeres
gehört.“
Sie schwebte durch den Badewannenrand und tätschelte mir den Kopf,
wovon mir einen Moment lang ziemlich schummerig wurde. „Hören Sie nicht auf die
Leute, die Ihnen so hässliche Dinge sagen. Die sind nur neidisch. Und ignorant.
Auch ich habe diese Bemerkung aus Unwissenheit gemacht, wie ich zu meiner
Schande gestehen muss. Erklären Sie mir doch, was es mit Ihren Augen auf sich
hat, damit ich im Bilde bin.“
Ihr Ausrutscher tat ihr wirklich leid, das musste ich ihr
zugutehalten. Und weil sie so ein schlechtes Gewissen hatte, konnte ich ihr
nicht länger böse sein. Ich erzählte ihr also von der Heterochromia Indes und
wollte es bei den Fakten belassen, doch sie bohrte und drängte, bis ich ihr
schließlich anvertraute, wie schwer es gewesen war, damit aufzuwachsen, anders
als die anderen zu sein.
„Aber dadurch sind Sie etwas Besonderes, meine Liebe! Sie sollten Ihre
Einzigartigkeit betonen und nicht verstecken!“
„Sie haben gut reden. Bei Ihrem Anblick werden die Leute ja auch nicht
nervös.“
Sie zwinkerte mir lächelnd zu. „Das stimmt ja nun überhaupt nicht!“
Ich lachte über Ihre schelmische Miene, griff nach meinem Handtuch und
stieg aus der Wanne. „Oh, ich weiß, ich habe einige Geschichten über den Geist
von Zimmer 114 gehört. Sie treten in Erscheinung, wenn Paare sich streiten, und
Sie räumen auch gern mal die Handtücher weg.“
Esme verzog abschätzig den Mund. „Die jungen Frauen heutzutage haben
keine Ahnung, wie man ein Handtuch ordentlich faltet.“
Nach einer Weile gelang es mir endlich, Esme davon zu überzeugen, dass
ich dringend schlafen musste, und sie löste sich buchstäblich in Nichts auf,
was offenbar der Schlafzustand eines Geists war. Bevor sie jedoch verschwand,
bat ich sie noch, das Zimmermädchen nicht zu stören, wenn es später zum
Saubermachen kam. Sie nörgelte noch ein bisschen herum, aber letzten Endes
versprach sie mir, nicht überraschend in Erscheinung zu treten.
Sechs Stunden später verließ ich das Hotel, um mich mit der Eremitin
zu treffen. Das GEDÜ-Büro hatte ihren Namen und ihre Telefonnummer nicht
herausgeben wollen, mir aber versprochen, meine Nachricht weiterzuleiten. Zehn
Minuten nach diesem Telefonat hatte
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