Dark one 06 - Ein Vampir kommt selten allein-neu-ok-08.12.11
nickte und schrie seinen Leuten ein paar Befehle zu.
Ich schaute hinaus auf das blaugraue, windgepeitschte Meer
und fragte mich, was um alles in der Welt ich tun sollte. „Verrückter kann es
wohl nicht werden, oder?“
Das Heulen des Windes und die klagenden Schreie der Möwen,
die über meinem Kopf kreisten, waren die einzige Antwort auf meine Frage. Nach
einem letzten Blick auf das Meer winkte ich den wartenden Geistern und zeigte
auf das Dorf. Hurrarufe drangen an mein Ohr, als ich die Hände in die Taschen
steckte und, gefolgt von Ulfur und seinem Ross, den steinigen Pfad zum Dorf
hinunterging.
Was um alles in der Welt hatte ich mir da nur wieder
eingebrockt? Und wie, bitte schön, kam ich aus dieser Nummer wieder heraus?
Ich brauchte fast den ganzen Tag, um zurück nach Dalkafjord
hinzu kommen.
Da ich der Polizei nicht begegnen wollte, nahm ich den
einzigen Bus, der zwischen der Stadt und dem Fischerdorf verkehrte, und betete,
dass die in die Stadt einfahrenden Fahrzeuge nicht von der Polizei kontrolliert
wurden. Es kam zu einer kleinen Rangelei, als der Busfahrer feststellte, dass
ich kein Geld für die Fahrkarte hatte, woraufhin ich mich mit verzweifelter
Entschlossenheit an dem Haltegriff auf der Rückseite des Sitzes vor mir
festklammerte. Da keiner der fünf anderen Fahrgäste Englisch sprach - oder
niemand in die Sache hineingezogen werden wollte -, weiß ich nicht genau, was
der Fahrer mir alles androhte, aber irgendwann gab er es auf, an mir
herumzuzerren, und ließ mich mitfahren.
In Bezug auf Ulfur, sein Pferd und die zwölf anderen Geister
gab es keine Beschwerden, aber das lag sicherlich nur daran, dass außer mir
niemand sie sehen konnte. Die Geister - Männer, Frauen und Kinder, bekleidet
wie vor hundertfünfzig Jahren -waren allerdings sehr höflich und unglaublich
dankbar dafür, dass ich sie unter meine Fittiche genommen hatte.
„Ich kann für nichts garantieren, aber ich denke, in der
Menge ist man sicherer“, sagte ich zu ihnen, nachdem der Busfahrer von mir
abgelassen hatte und Richtung Hauptstraße fuhr.
Eine Frau, die in meiner Nähe saß, musterte mich argwöhnisch
aus dem Augenwinkel. Ich schenkte ihr ein Lächeln, aber mir fehlte die Energie,
um ihr zu erklären, dass just in diesem Moment ein Geist auf ihrem Schoß saß,
während ein Geisterpferd in der Tasche herumstöberte, die neben ihr auf dem
Boden stand.
„Sie sind die Schnitterin“, sagte ein älterer, männlicher
Geist und wies mit dem Kopf auf Ulfur. „Er sagt, Sie bringen uns nach Ostri.“
„Das ist der Plan“, entgegnete ich und nagte an meiner
Unterlippe.
Die Frau schaute wieder in meine Richtung, stand auf und
setzte sich weiter nach vorn, in die Nähe des Fahrers.
Auf der Fahrt in die Stadt, die eine ganze Stunde dauerte,
dachte ich angestrengt darüber nach, was ich tun sollte. Ich hatte nicht die
geringste Ahnung, wie ich den Geistern helfen konnte, aber die Leute von der
Bruderschaft wussten garantiert Bescheid. Ich musste sie aufsuchen, um
Genaueres zu erfahren. Vielleicht konnte sich ja sogar jemand von ihnen um die
Geister kümmern und sie an den Ort ihrer Bestimmung führen.
Dieser Gedanke munterte mich ein wenig auf, und ich lehnte
mich zurück und versuchte, positiv zu denken.
Als ich bei der Ankunft in der Stadt einen Streifenwagen auf
Patrouillenfahrt sah, war meine gute Stimmung augenblicklich wieder dahin. Aus
Angst, in einen Polizeikordon zu geraten, stieg ich beim ersten Halt aus und
ging zu Fuß weiter. Gefolgt von einer wahren Geisterparade, bewegte ich mich
wachsamen Auges durch Seitenstraßen und Gassen Richtung Zentrum.
„Wohin gehen wir eigentlich?“, fragte einer der jüngeren
Geister - ein verdrossen dreinblickendes Mädchen im Teenageralter - mit
quengeliger Stimme. „Müssen wir den ganzen Weg nach Ostri laufen?“
Eine ältere Frau wies sie mit einem ängstlichen Blick in
meine Richtung zurecht. „Sprich nicht so mit der Schnitterin! Sie wird uns den
Weg weisen.“
„Hoffentlich“, sagte ich leise. Die Sonne stand schon tief
am Himmel, und die Gebäude warfen lange dunkle Schatten. Es wurde immer
düsterer in den engen Gassen.
Ich blieb die ganze Zeit auf der Hut und hielt nach
Mitgliedern meiner Reisegruppe Ausschau, damit mich nicht plötzlich jemand
entdeckte und ein Riesengeschrei machte, doch weit und breit waren keine
amerikanischen Singles zu sehen.
„Zum Glück“, sagte ich und verschwand hinter einer
Häuserreihe, um eine verkehrsreiche Kreuzung zu
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