Dark Places - Gefährliche Erinnerung: Thriller (German Edition)
Mahlzeiten vergaß. Sie kochte Tomatensuppe aus Ketchup und machte Milch aus Milchpulver, jawohl. Sie toastete trockenes Brot, schmierte einen Klacks Senf darauf, und fertig war das Sandwich, jawohl. Selbst an den schlimmsten Tagen, jawohl. Aber sie vergaß nie, den Kindern Essen zu machen. In der Schule waren die Kids im Programm für den Gratislunch, also kriegten sie da wenigstens was Ordentliches. Bei dem Gedanken fühlte Patty sich noch schlechter. Denn sie war als Kind in die gleiche Schule gegangen, hatte aber nie den Gratislunch in Anspruch nehmen müssen. Jetzt krampfte sich ihr Magen zusammen, wenn sie an den Gratislunch von damals dachte, an die Kids, die sie von oben herab belächelt hatte, wenn sie ihre eselsohrigen Berechtigungskarten vorzeigten. Gratislunch!, schrien die Cafeteria-Angestellten dann immer besonders laut durch den dampfigen Raum, und dann flüsterte der kurzgeschorene, arrogante Knabe neben ihr dämlich:
Man kriegt im Leben nichts umsonst, also auch keinen Gratislunch
. Die Kids taten Patty leid, aber nicht auf eine Weise, dass sie ihnen helfen wollte, sondern so, dass sie nicht mehr hinsehen konnte.
Libby schluchzte immer noch in ihren Armen, Pattys Hals war schon ganz nass von ihrem heißen Atem. Aber als Patty sie zum zweiten Mal aufforderte, sie anzuschauen, blinzelte die Kleine und wandte ihr endlich das Gesicht zu.
»Es hat mich verbraaaaaaannt«, stieß sie hervor und fing wieder an zu weinen.
»Baby, Baby, das sind doch bloß ein paar Auas. Alles wird wieder gut, du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Nur ein paar rosa Auas – die hast du nächste Woche schon längst vergessen.«
»Bestimmt passiert was ganz Schlimmes!«
Libby machte sich immer Sorgen, sie war schon skeptisch und angespannt auf die Welt gekommen und bis heute so geblieben. Sie war das Albtraummädchen, eine Laus im Pelz. Es war eine ganz und gar ungeplante Schwangerschaft, weder Patty noch Runner waren glücklich darüber gewesen. Sie veranstalteten noch nicht mal eine Babyparty, ihre Familien waren es so überdrüssig, dass sie schon wieder einen Sprössling gezeugt hatten, die ganze Schwangerschaft war einfach nur peinlich. Libby hatte wahrscheinlich neun Monate lang in nervöser Magensäure gelegen, so dass ihr gar nichts anderes übrigblieb, als die ganzen Sorgen in sich aufzusaugen. Auch die Sauberkeitserziehung war ein einziges Desaster gewesen – Libby fing an zu schreien, wenn sie sah, was da aus ihr herauskam, und ergriff nackt und voller Entsetzen die Flucht. Sie in die Schule zu bringen war anfangs so ein Akt gewesen, dass Patty jedes Mal das Gefühl hatte, ihre Tochter zu verstoßen: Von der Lehrerin mühsam zurückgehalten, presste sie das Gesicht mit den großen, tränennassen Augen gegen die Fensterscheibe. Diesen Sommer hatte sie sich eine Woche lang strikt geweigert zu essen und sah schon ganz blass und verhärmt aus, als sie Patty dann endlich (endlich, endlich) offenbarte, dass sie ein paar Warzen auf dem Knie hatte.
Zu jeder passenden Gelegenheit prophezeite Libby Unheil. Das wusste Patty, aber trotzdem biss sie bei Libbys Worten unwillkürlich die Zähne zusammen. Es war schon etwas Schlimmes passiert. Aber es würde noch schlimmer kommen.
So saß sie mit Libby auf der Couch, strich ihr über die Haare, tätschelte ihr den Rücken. Debby und Michelle trieben sich in der Nähe herum, holten Taschentücher für Libby und trösteten sie, wie sie es schon vor einer guten Stunde hätten tun sollen. Debby ließ sogar den Panda im Spiel mit ihr sprechen und ihr sagen, dass alles okay sei. Aber Libby schob das Stofftier weg und wandte den Kopf ab. Michelle bot an, Suppe für alle zu kochen. Sie aßen den ganzen Winter Suppe, Patty bewahrte riesige Bottiche davon in der Gefriertruhe draußen in der Garage auf. Normalerweise hatten sie ihre Vorräte gegen Ende Februar aufgebraucht. Der Februar war immer der schlimmste Monat.
Michelle warf einen großen gefrorenen Klumpen Rindfleisch und Gemüse in einen Topf, zerkrümelte das Eis und ignorierte den Teller mit Salami, als Diane mit grimmigem Gesicht vom Telefonieren zurückkam. Sie zündete sich eine Zigarette an –
die brauch ich jetzt, das könnt ihr mir glauben
–, setzte sich aufs Sofa, und dank ihres Gewichts hüpften Patty und Libby nach oben wie auf einer Wippe. Dann schickte sie die Mädchen zu Michelle in die Küche, und sie wagten nicht zu meckern, sondern gehorchten besorgt und brav.
»Okay. Also, eine Familie mit Namen
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