Dark Places - Gefährliche Erinnerung: Thriller (German Edition)
Cates hat das Gerücht in die Welt gesetzt – sie wohnen auf halbem Weg zwischen hier und Salina und schicken ihre Tochter nach Kinnakee, weil die staatliche Schule bei ihnen in der Gegend noch nicht fertig ist. Es hat damit angefangen, dass Ben in einem Kunstkurs nach der Schule freiwillig ausgeholfen hat. Wusstest du, dass er so was macht?«
Patty schüttelte den Kopf.
»Dass er freiwillig nach der Schule aushilft?«, vergewisserte sie sich.
Diane schob die Lippen vor, sie war ebenfalls befremdet.
»Na ja, aus welchem Grund auch immer hat er bei diesen Kids in der Grundschule ausgeholfen, und die Eltern dieses Mädchens behaupten nun, dass zwischen den beiden irgendwas Unrechtes vorgefallen ist. Und ein paar andere behaupten es auch. Die Hinkels, die Putches und die Cahills.«
»Was behaupten sie denn?«
»Sie haben gemeinsame Berichte verfasst und mit der Schule gesprochen. Soweit ich gehört habe, ist inzwischen auch die Polizei eingeschaltet worden, und du solltest dich also darauf gefasst machen, dass demnächst einer von denen vorbeikommt, um mit dir und Ben zu sprechen. In der Schule wissen noch nicht alle davon – wir haben Glück, dass es in den Weihnachtsferien passiert ist –, aber ich vermute, dass es sich jetzt rumsprechen wird wie ein Lauffeuer. Die Schule befragt vermutlich die Eltern von allen Mädchen, denen Ben nach der Schule geholfen hat. Zehn Familien.«
»Was soll ich jetzt machen?« Patty ließ den Kopf auf die Knie sinken. Auf einmal spürte sie den Impuls, laut zu lachen, es war einfach zu grotesk.
Ob ich wohl einen Nervenzusammenbruch habe?
, dachte sie.
Wenn ich einen Nervenzusammenbruch habe, muss ich nicht mit all diesen Leuten sprechen
. Dann wäre sie in Sicherheit, irgendwo in einem weißen Zimmer, und würde wie ein Kind zum Frühstück, zum Lunch und schließlich zum Dinner geführt, vom Pflegepersonal mit sanftem Flüstern zum Weitergehen überredet, schlurfend wie eine Schwerkranke.
»Wie es aussieht, sind jetzt alle bei den Cates und unterhalten sich«, meinte Diane. »Ich hab die Adresse.«
Patty starrte nur vor sich hin.
»Ich denke, wir sollten auch hinfahren«, sagte Diane.
»Wir sollen da hinfahren? Ich dachte, du hast gerade gesagt, dass jemand herkommt.«
»Das Telefon klingelt andauernd«, sagte Michelle, die in der Küche gewesen war und eigentlich nichts von dem Gespräch hätte hören sollen.
Patty und Diane drehten sich beide zum Telefon um und warteten, dass es losginge.
»Hmm, warum bist du dann nicht drangegangen, wie wir es dir gesagt haben, Michelle?«, fragte Diane.
»Ich wusste nicht mehr, ob wir drangehen sollen oder nicht«, antwortete Michelle achselzuckend.
»Vielleicht ist es besser, wenn wir einfach hier warten«, meinte Patty.
»Patty, diese Familien sitzen da rum und reden … reden irgendeinen
Scheiß
über deinen Sohn. Wir wissen natürlich nicht, ob das Gerücht irgendwie einen wahren Kern hat, aber möchtest du dich nicht für Ben einsetzen? Möchtest du nicht hören, was diese Leute behaupten, möchtest du sie nicht dazu bringen, dass sie es dir ins Gesicht sagen?«
Nein, das wollte sie nicht. Sie wollte, dass das alles einfach aufhörte, dass die Gerüchte sich auflösten, sich ruhig und friedlich dorthin verkrochen, woher sie gekommen waren. Sie wollte nicht hören, was die Leute in ihrer Stadt sich über ihren Sohn erzählten – herrje, Maggie Hinkel war mit ihr in die Schule gegangen! Und sie hatte Angst, dass sie beim Anblick der ganzen wütenden Gesichter zusammenbrechen würde. Sie würde anfangen zu weinen, wahllos um Verzeihung bitten. Denn schon jetzt wollte sie hauptsächlich, dass man ihr verzieh. Dabei hatte sie doch gar nichts Falsches getan.
»Ich zieh nur schnell was anderes an.«
Sie fand einen Pullover ohne Löcher unter den Achseln und eine ordentliche Khakihose. Dann fuhr sie sich mit dem Kamm durch die Haare, tauschte ihre goldenen Stecker gegen ein paar unechte Perlenohrringe und eine dazu passende Kette. Man sah wirklich nicht, dass die Perlen nicht echt waren, sie fühlten sich sogar richtig schwer an.
Als sie und Diane zur Haustür gingen – nach weiteren eindringlichen Ermahnungen über die Herdbenutzung, der Aufforderung, den Fernseher abzuschalten und irgendwann das Geschirr abzuwaschen und aufzuräumen –, begann Libby wieder zu weinen, fuchtelte mit den Armen und heftete sich an ihre Fersen. Michelle verschränkte die Arme über ihrem fleckigen Sweatshirt und stampfte mit dem Fuß
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