Dark Places - Gefährliche Erinnerung: Thriller (German Edition)
Yellow 5 .« Ein kurzes Lächeln erschien auf seinem Gesicht, dann sackten die Schultern wieder herunter. »Ich weiß noch, wie Debby mich verbunden hat, wie sie ein Pflaster auf den Schnitt geklebt und es dann noch mit einem Sticker verziert hat, mit einem von diesen Glitzerdingern, kleine Herzchen und so ein Zeug.«
»Ja, die hat sie geliebt«, sagte ich.
»Und überall hingepappt.«
Ich holte Luft, überlegte, ob ich schnell zu einem anderen, harmlosen Thema übergehen sollte, zum Wetter oder so, tat es dann aber nicht.
»Kann ich dir eine Frage stellen, Ben?«
Er bekam Haiaugen, undurchdringlich, und ich sah wieder den Sträfling in ihm, einen Menschen, der es gewohnt war einzustecken, der ständig Fragen beantworten musste, selbst aber keine stellen durfte.
»Du weißt doch, diese Nacht damals.«
Er machte große Augen. Natürlich wusste er, welche Nacht ich meinte.
»Vielleicht erinnere ich mich nicht mehr so genau an alles, was da passiert ist, vielleicht war ich ein bisschen verwirrt …«
Jetzt hatte er sich vorgebeugt, mit steifen Armen, so dicht übers Telefon gekauert, als handelte es sich um einen nächtlichen Notruf.
»Aber eines weiß ich noch genau, so genau, dass ich darauf meinen Kopf verwetten könnte … es brannte Licht. In deinem Zimmer. Das hab ich unter der Tür gesehen. Und jemand hat geredet. In deinem Zimmer.«
Ich geriet ins Trudeln und hoffte inständig, er würde mich retten. Aber er ließ mich trudeln, sekundenlanger freier Fall, wie wenn man auf Glatteis den Boden unter den Füßen verliert und gerade noch genug Zeit hat, um zu denken
Oh, ich falle!
»Das ist ja was ganz Neues.«
»Wieso?«
»Das hat mich noch keiner gefragt, und ich hätte echt nicht gedacht, dass es noch neue Fragen geben würde. Glückwunsch.« Ich merkte, dass wir beide genau die gleiche Haltung eingenommen hatten, eine Handfläche an der Tischkante, als wollten wir weg, weil uns das Essen nicht schmeckte. Runners Haltung – ich erinnerte mich noch, dass er so dagesessen hatte, als wir uns das letzte Mal begegnet waren. Damals war ich fünfundzwanzig oder sechsundzwanzig, und er wollte wieder mal Geld von mir. Zuerst fragte er mich ganz kokett und superfreundlich –
meinst du, du könntest vielleicht einem alten Mann unter die Arme greifen, Libbyschätzchen
? –, aber ich lehnte sofort ab, ein Baseballschläger, der einen wunderschönen Wurf einfach unterbricht, schockierend, demütigend.
Und warum nicht?
, hatte er daraufhin gefaucht, seine Schultern wichen zurück, die Arme hoben sich, die Hände lagen auf meinem Tisch, und ich dachte:
Warum habe ich ihm einen Stuhl angeboten?
und kalkulierte bereits, wie viel Zeit ich verschwenden musste, um ihn wieder loszukriegen.
»Ich hab mich weggeschlichen in dieser Nacht«, sagte Ben. »Und als ich heimkam, hatten Mom und ich gleich wieder einen Streit.«
»Wegen Krissi Cates?«
Er fuhr auf, fasste sich aber gleich wieder.
»Wegen Krissi Cates, ja. Aber Mom hat mir geglaubt, sie war hundertprozentig auf meiner Seite, das war das Tolle an Mom. Selbst wenn sie stinksauer auf einen von uns war, hat sie trotzdem zu uns gehalten, das wussten wir alle. Das hatten wir im Blut. Sie hat mir geglaubt. Aber sie war wütend und hatte Angst. Ich hatte sie, ich weiß nicht, ungefähr sechzehn Stunden warten lassen, ohne ein Wort – ich wusste ja nicht mal, was los war, damals gab es ja noch keine Handys, man hat oft den ganzen Tag nicht miteinander geredet, ganz anders als heute. Soweit ich weiß.«
»Ja, aber …«
»Gut, wir haben uns gestritten, ich weiß nicht mal mehr, ob es nur um Krissi Cates ging oder ob es damit nur angefangen hat und wir dann auch noch zu anderen Themen gekommen sind, ich wollte, ich könnte mich noch genau daran erinnern, bei Gott, aber jedenfalls hat sie mich auf mein Zimmer geschickt, und ich bin reingegangen, und nach einer Stunde oder so war ich wieder so sauer, dass ich mich aus dem Haus geschlichen habe. Aber ich hab das Radio und das Licht angelassen, damit sie glaubt, ich sei da, wenn sie nachschaut. Ich meine, du weißt ja, wie sie geschlafen hat, sie wäre nie den ganzen Weg zu meinem Zimmer gegangen und hätte reingeguckt. Wenn sie geschlafen hat, dann hat sie geschlafen.«
Aus Bens Mund klang es, als wäre der Weg den Korridor hinunter endlos gewesen, dabei waren es vielleicht gerade mal dreißig Schritte. Aber es stimmte, wenn meine Mutter schlief, war sie vollkommen weg. Ich erinnere mich, dass ich manchmal
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