Dark Places - Gefährliche Erinnerung: Thriller (German Edition)
neben ihr gesessen und gewacht habe, weil ich glaubte, sie wäre tot – ich starrte sie an, bis mir die Augen tränten, und versuchte verzweifelt, eine Atembewegung wahrzunehmen, einen Seufzer. Wenn ich sie anschubste, sackte sie sofort in die ursprüngliche Position zurück. Wir hatten alle unsere Geschichten, wie wir ihr nachts zufällig im Bad begegnet waren – wir mussten gleichzeitig mit ihr aufs Klo, bogen um die Ecke, und da saß sie auf dem Klo und pinkelte, den Bademantel zwischen den Knien, aber sie sah uns nicht, sie schaute durch uns hindurch, als wären wir Luft.
Ich weiß nicht recht wegen dem Sorghum
, sagte sie dann, oder:
Ist das Saatgut eigentlich schon da?
Und dann schlurfte sie wieder in ihr Zimmer zurück.
»Hast du das der Polizei gesagt?«
»Ach, Libby, komm schon. Ich möchte nicht, dass das hier so abläuft.«
»Hast du es gesagt?«
»Nein, hab ich nicht. Was hätte das denn gebracht? Die wussten doch schon, dass wir uns gestritten hatten. Warum sollte ich ihnen von noch einem Streit erzählen? Das ist doch … es wäre total sinnlos gewesen. Ich war ungefähr eine Stunde zu Hause, es ist sonst nichts passiert, es war belanglos. Vollkommen belanglos.«
Wir sahen einander an.
»Wer ist Diondra?«, fragte ich abrupt. Ich sah, dass er versuchte, sich noch mehr zu entspannen, aber ich sah auch, wie er nachdachte. Vielleicht stimmte es, dass er sich aus dem Haus geschlichen hatte, vielleicht stimmte es nicht, aber in diesem Moment war mir klar, dass er mir gleich eine Lüge auftischen würde. Der Name Diondra brachte etwas in ihm zum Klingen, ich sah förmlich vor mir, wie seine Knochen vibrierten. Er neigte den Kopf ein bisschen nach rechts – der perfekte Ausdruck von
Komisch, dass du das fragst –
und sammelte sich.
»Diondra?« Er wollte Zeit schinden, er wollte sondieren, wie viel ich wusste. Ich hielt mein Gesicht absolut ausdruckslos.
»Hmm, Diondra war ein Mädchen in der Schule. Wie kommst du denn jetzt auf Diondra?«
»Ich hab ein Briefchen gefunden, das sie dir geschrieben hat. Das klang, als wäre sie mehr gewesen als nur irgendein Mädchen in der Schule.«
»Hmm. Na ja, sie war ziemlich durchgeknallt, das weiß ich noch. Sie hat dauernd Briefchen geschrieben, die … na ja, weißt du, sie wollte immer den Eindruck erwecken, sie wäre, na ja, ein bisschen wild eben.«
»Ich dachte, du hättest gar keine Freundin gehabt.«
»Hatte ich auch nicht. Himmel, Libby, wie kommst du denn von einem Briefchen darauf, sie könnte meine Freundin gewesen sein?«
»Na, natürlich vom Inhalt des Briefchens.« Ich wurde nervös, denn ich ahnte, dass ich gleich enttäuscht werden würde.
»Tja, ich weiß nicht, was ich dir sagen soll. Ich wollte, ich könnte bestätigen, dass sie meine Freundin war. Aber sie war, na ja, eine total andere Kragenweite. Ich erinnere mich nicht mal daran, jemals ein Briefchen von ihr gekriegt zu haben. Bist du ganz sicher, dass mein Name draufstand? Und wie kommst du überhaupt an das Briefchen?«
»Ist ja egal«, sagte ich und nahm das Telefon vom Ohr, damit er wusste, dass ich gehen wollte.
»Libby, warte mal, warte.«
»Nein, wenn du mit mir umspringst wie ein … wie ein Sträfling, dann sehe ich darin keinen Sinn.«
»Libby, jetzt mach aber mal halblang. Es tut mir leid, dass ich dir nicht die Antwort geben kann, die du dir anscheinend von mir wünschst.«
»Ich möchte bloß die Wahrheit.«
»Und ich möchte dir auch die Wahrheit sagen, aber du willst anscheinend … eine Geschichte. Ich meine, Himmel noch mal, da kommt meine kleine Schwester und besucht mich nach all den Jahren, und ich denke, vielleicht ist das endlich mal was Schönes. Endlich mal was Schönes. Vor einundzwanzig Jahren war sie alles andere als hilfreich, verdammt nochmal, aber hey, das hab ich verdaut, und zwar so gründlich, dass ich einfach nur froh bin, als ich sie das erste Mal wiedersehe. Ich meine, ich sitze hier in diesem verfluchten Loch und warte darauf, dich zu sehen, bin so nervös, als hätte ich ein Date, und dann kommst du, und Himmel, ich denke, vielleicht ist endlich mal was okay. Vielleicht kann ich doch einen Menschen aus meiner Familie in meinem Leben haben, vielleicht muss ich nicht mehr ganz so einsam sein, weil – ich weiß, du hast mit Magda geredet, das hab ich alles gehört, glaub mir, und klar gibt es Leute, die mich besuchen und sich für mich interessieren, aber das ist nicht das Gleiche, das bist nicht du, die anderen kennen mich doch
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