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Dark Places - Gefährliche Erinnerung: Thriller (German Edition)

Dark Places - Gefährliche Erinnerung: Thriller (German Edition)

Titel: Dark Places - Gefährliche Erinnerung: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Flynn
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allmählich in Besitz und versuchte, nicht angewidert auszusehen, aber als ich das Telefon in die Hand nahm, war es ebenfalls noch nass vom Schweiß meines Vorgängers, und anscheinend sah man mir dann doch an, dass ich mich ekelte, denn Ben runzelte die Stirn.
    »Alles klar bei dir?«, fragte er, und ich nickte. Ja, klar, alles wunderbar.
    »Du bist also tatsächlich wiedergekommen«, stellte er fest. Und lächelte – ganz vorsichtig, wie immer. Bei einem Familienfest, am letzten Schultag – er sah immer so aus, ein Junge, der permanent in der Bibliothek lebte und darauf wartete, zur Ruhe ermahnt zu werden.
    »Ja, ich bin wiedergekommen.«
    Er hatte ein nettes Gesicht, nicht unbedingt hübsch, aber nett, das Gesicht eines netten Jungen. Als er merkte, dass ich ihn musterte, blickte er schnell auf seine Hände. Sie waren größer geworden, größer als sein zierlicher Körperbau es erwarten ließ, Pianistenhände, obwohl keiner von uns je Klavier gespielt hatte. Sie waren narbig, nichts Aufregendes, nur dunkelrosa Flecken von Kratzern und Schrammen, verteilt wie Konfetti. Wieder bemerkte er meinen Blick, hielt eine Hand hoch und deutete mit der anderen auf den einzigen tiefen Einschnitt. »Polo-Unfall.«
    Ich lachte, weil ich sah, dass er den Witz schon bereute.
    »Nein, aber weißt du noch, woher ich das habe?«, fragte Ben. »Von diesem Bullen, Yellow  5 , erinnerst du dich an den alten Mistkerl?«
    Obwohl wir nur eine kleine Farm hatten, gaben wir den Tieren trotzdem keine Namen, weil wir kein allzu nahes Verhältnis mit Bossy oder Hank oder Sweet Belle aufbauen wollten, da sie ja sowieso zum Schlachthof geschickt wurden, sobald sie groß genug waren. Sechzehn Monate, das hatte ich noch genau im Kopf. Wenn sie ein Jahr alt geworden waren, schlich man nur noch auf Zehenspitzen um sie herum und sah sie angewidert und verlegen von der Seite an, wie einen Gast, der gerade im Wohnzimmer gefurzt hat. Deshalb beschränkten wir uns darauf, die neuen Kälber jedes Jahr nach Farben zu sortieren und ihren Müttern zuzuordnen: Grün  1 , Rot  3 , Blau  2 , alle glitten sie aus dem Leib ihrer Mütter auf den Dreckboden des Stalls, und gleich fingen die dünnen Beine an zu strampeln und versuchten, sich aufzurichten. Die Leute halten Kühe für gefügig und dumm, aber Kälbchen? Die sind neugierig wie Kätzchen, verspielt, und genau aus diesem Grund durfte ich nie zu ihnen rein. Aber ich beobachtete sie durch die Lücken zwischen den Latten des Verschlags. Ich erinnere mich, wie Ben sich in Gummistiefeln anschlich, langsam und bedächtig wie ein Astronaut, aber wenn er sich näherte, war es, als versuchte er, Fische mit der Hand zu fangen. An Yellow  5 erinnere ich mich auch noch, zumindest an den Namen, das berühmt-berüchtigte Bullenkalb, das sich nicht kastrieren lassen wollte – Tag für Tag strengten sich der arme Ben und meine Mom an, ihn zu erwischen, um ihm den Sack aufzuschlitzen und die Eier abzuschneiden, und Tag für Tag erschienen sie zum Abendessen am Tisch als Versager, weil Yellow  5 sie mal wieder ausgetrickst hatte. Am ersten Abend war es noch ein Scherz, da saßen wir vor unserem Steak und redeten mit ihm, als wäre es Yellow  5 : Du wirst es noch bereuen, Yellow  5 . Am zweiten Abend klang das Lachen schon etwas verdrossener, und bis zum fünften gab es nur noch grimmige Gesichter und Schweigen, denn es hatte sich wieder einmal erwiesen, dass sowohl Ben als auch meine Mom einfach nicht gut genug waren: schwach, klein, langsam, minderwertig.
    Hätte Ben mich nicht an Yellow  5 erinnert, hätte ich ihn total vergessen. Am liebsten hätte ich ihm gesagt, er sollte eine Liste von Dingen machen, an die es sich zu erinnern lohnte und die ich nicht allein aus meinem Hirn abrufen konnte.
    »Was ist da passiert? Hat er dich gebissen?«
    »Nein, nichts so Dramatisches, er hat mich nur gegen den Zaun geschubst, als ich grade dachte, jetzt hab ich ihn endlich. Hat mich einfach zur Seite gedrängt, und ich bin mit dem Handrücken direkt auf einem Nagel gelandet. An einer Stelle, wegen der Mom mich bestimmt schon fünfmal angenörgelt hatte, ich solle sie endlich flicken. Also war es irgendwie meine eigene Schuld.«
    Ich überlegte, was ich darauf erwidern könnte – eher etwas Pfiffiges oder lieber etwas Mitleidiges? Ich hatte noch kein Gespür dafür, welche Reaktionen Ben sich wünschte, aber er unterbrach meine Grübelei. »Ach, was soll der Scheiß, es war die Schuld von diesem gottverdammten

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