Dark Places - Gefährliche Erinnerung: Thriller (German Edition)
fragten sich, ob er vielleicht irgendwelche Tierkadaver hatte holen wollen, die er in seinem Spind aufbewahrt hatte (Tierkadaver?), oder ob er persönliche Dinge anderer Schüler suchte, die er bei einer satanischen Messe verwenden konnte. Später an dem Tag war er anscheinend in irgendeiner Kifferspelunke aufgetaucht und hatte über Teufelsopfer gefaselt.
Bens Verhalten war seiner Sache wenig zuträglich: Er hatte kein Alibi für die Morde, er besaß einen Hausschlüssel – es gab keine Spuren, die auf einen Einbruch hindeuteten, und er hatte am Morgen einen Streit mit meiner Mutter gehabt. Außerdem benahm er sich echt seltsam. Als die Anklage ihn als satanistischen Killer hinstellte, reagierte Ben mit einem angeregten Vortrag über die Rituale der Teufelsanbetung und referierte über bestimmte Songs, die ihn immer an die Unterwelt und die Macht des Satans erinnerten.
»Das ermutigt einen, Dinge zu tun, die sich gut anfühlen, weil wir im Grund ja alle Tiere sind.«
An einem Punkt sagte der Ankläger zu ihm: »Hören Sie endlich auf, mit Ihren Haaren zu spielen und so zu tun, als wäre das alles eine Lappalie. Ist Ihnen eigentlich klar, wie ernst Ihre Lage ist?«
»Mir ist klar, dass Sie denken, dass meine Lage ernst ist«, antwortete Ben.
Das klang überhaupt nicht wie der Ben, an den ich mich erinnerte, wie mein stiller, verschlossener Bruder. Lyle hatte ein paar Fotos vom Prozess beigelegt: Ben, die schwarzen Haare zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden (warum brachten seine Anwälte ihn nicht dazu, sich die Haare abzuschneiden?), in einen schlecht sitzenden Anzug gequetscht, immer entweder mit einem Grinsen im Gesicht oder völlig ausdruckslos.
Es war nicht zu leugnen, dass Ben den Prozess nicht zu seinen Gunsten beeinflusst hatte, aber sosehr mich das Prozessprotokoll auch beschämte, fühlte ich mich nach der Lektüre trotzdem ein bisschen besser. Wenigstens war es nicht allein meine Schuld, dass Ben im Gefängnis saß. Nein, irgendwie hatten doch alle ein bisschen an dem Desaster mitgewirkt.
Eine Woche nachdem ich zugestimmt hatte, Ben zu besuchen, war es so weit. Ich fuhr zurück in meine Heimatstadt, die ich seit mindestens zwölf Jahren nicht mehr gesehen hatte und die sich ohne meine Erlaubnis in eine Gefängnisstadt verwandelt hatte. Aber irgendwie ging die ganze Sache zu schnell, ich krümmte mich emotional. Um überhaupt ins Auto zu steigen, musste ich mir immer wieder sagen, dass ich ja nicht richtig nach Kinnakee fuhr und auch nicht auf die lange Auffahrt abbiegen würde, die zu unserem Haus führte, nein, das kam gar nicht in Frage. Es war ja sowieso nicht mehr mein Zuhause: Schon vor Jahren hatte jemand das Grundstück gekauft und das Haus umgehend abgerissen, hatte die Wände, die meine Mutter mit billigen Blumenpostern aufgehübscht hatte, zertrümmert, die Fensterscheiben eingeschlagen, auf die wir gehaucht hatten, wenn wir Ausschau hielten, wer die Auffahrt hochgefahren kam, den Türrahmen zu Kleinholz verarbeitet, an dem meine Mutter mit Strichen vermerkt hatte, wie viel Ben und meine Schwestern gewachsen waren. Leider hatte es für mich keine solche Größentabelle gegeben, denn Mom war damals schon viel zu erschöpft gewesen, um über den Eintrag »Libby 97 cm« hinauszukommen.
Drei Stunden brauchte ich bis nach Kansas, die Flint Hills hinauf und wieder hinunter, über die Ebene, auf der mich Werbeschilder einluden, die Greyhound Hall of Fame, das Museum of Telephony und das Größte Garnknäuel der Welt zu besichtigen. Wieder überrollte mich eine Welle der Loyalität: Ich müsste mir das alles eigentlich ansehen, und sei es nur, um die Ausflügler zu ohrfeigen, die diesen Attraktionen womöglich mit Ironie begegneten. Schließlich bog ich vom Highway ab, in Richtung Norden und Westen und Norden und Westen, auf Puzzlelandstraßen, die Felder grün, gelb und braun gepünktelt wie ländlicher Pointillismus. Ich hockte hinter dem Lenkrad und zappte mich durch die Radiostationen von weinerlichen Country-Stücken zu christlichem Rock und Fuzz. Mühsam wärmte die Märzsonne das Auto und brachte meinen grotesken roten Haaransatz zum Leuchten. Die Wärme und das Rot erinnerten mich wieder an Blut. Auf dem Beifahrersitz neben mir stand ein Flugzeugfläschchen Wodka, das ich mir einverleiben wollte, wenn ich zum Gefängnis kam, eine selbstverordnete Betäubungsdosis. Es kostete mich eine für mich untypisch große Willenskraft, das Zeug nicht gleich beim Fahren runterzukippen, eine Hand
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