Dark Places - Gefährliche Erinnerung: Thriller (German Edition)
einer von ihnen war mindestens ein-, wenn nicht sogar zweimal sitzengeblieben. Ed war nicht besonders groß, vielleicht eins fünfundsechzig, hatte jedoch den athletischen Körperbau eines erwachsenen Mannes. Ungefähr eine Sekunde starrte er sie schweigend an, dann steckte er die Hände in die Hosentaschen und warf einen raschen Blick hinter sich.
»Hmm, hallo, Mrs Day.«
»Hallo, Ed. Entschuldige, dass ich euch in den Weihnachtsferien störe.«
»Kein Problem.«
»Ich suche Ben – ist er hier? Hast du ihn gesehen?«
»Be-en?« Er sagte den Namen, als hätte er zwei Silben, als fände er den Gedanken komisch, dass Ben hier sein könnte. »Ah, nein, wir haben Ben nicht gesehen seit … hmm, ich glaube schon seit einem Jahr oder so. Außer in der Schule natürlich. Aber er hängt jetzt mit anderen Leuten rum.«
»Mit was für Leuten denn?«, fragte Diane, und jetzt sah Ed sie zum ersten Mal an.
»Äh, na ja …«
Sie sah, wie sich Jims Silhouette der Tür näherte, im Gegenlicht des großen Küchenfensters. Ein ganzes Stück größer und breiter als sein Bruder, kam er auf sie zugeschlurft.
»Können wir Ihnen irgendwie helfen, Mrs Day?« Damit schob er erst den Kopf und dann den übrigen Körper an seinem Bruder vorbei und drängte ihn einfach zur Seite. Zusammen blockierten sie jetzt die gesamte Türbreite. Patty hätte gern den Hals gereckt und nach drinnen gespäht.
»Ich habe Ed gerade gefragt, ob ihr beiden Ben heute gesehen habt, und er meinte, dass ihr das ganze Schuljahr kaum etwas miteinander zu tun hattet.«
»Hmm, stimmt. Sie hätten anrufen sollen, dann hätten Sie sich die Mühe sparen können, extra zu uns rauszufahren.«
»Wir müssen ihn möglichst schnell finden. Habt ihr vielleicht eine Ahnung, wo er sein könnte? Es ist so eine Art Familiennotfall«, mischte Diane sich ein.
»Hmm, nein«, antwortete wieder Jim. »Tut mir leid, dass wir Ihnen nicht helfen können.«
»Könnt ihr uns nicht wenigstens sagen, mit wem er zurzeit gern zusammen rumhängt? Das wisst ihr doch sicher, oder nicht?«
Inzwischen hatte Ed sich wieder zurückgezogen und war fast im Schatten des Wohnzimmers verschwunden.
»Sag ihr, sie soll es mal bei der Servicenummer vom Satan probieren!«, kicherte er.
»Was?«
»Ach nichts.« Jim starrte auf den Türknauf, den er immer noch in der Hand hielt, und überlegte sich offensichtlich, ob er die Tür nicht einfach kurzerhand zuschieben sollte.
»Jim, kannst du uns bitte helfen?«, murmelte Patty. »Bitte?«
Der Junge runzelte die Stirn, klopfte mit der Spitze seines Cowboystiefels auf den Boden wie eine Ballerina und weigerte sich, Patty in die Augen zu schauen. »Er hängt mit diesen, na ja, mit diesen Teufels-Typen rum.«
»Was soll das heißen?«
»Irgend so ein älterer Typ ist ihr Anführer, ich weiß nicht, wie er heißt. Die nehmen Drogen, Peyote oder was, und schlachten Kühe und so ’n Sch-Zeug. Das hab ich jedenfalls gehört. Die Jungs, die dazugehören, gehen aber nicht auf unsere Schule. Außer Ben natürlich.«
»Aber ihr müsst doch irgendwelche Namen kennen«, bohrte Patty nach.
»Nein, echt nicht, Mrs Day. Wir halten uns da lieber raus. Tut mir leid, wir haben versucht, mit Ben befreundet zu bleiben, echt, aber … Wir gehen jeden Sonntag in die Kirche, und unsere Eltern sind ziemlich streng … Tut mir wirklich leid.«
Er schlug die Augen nieder und verstummte. Patty fiel nichts mehr zu fragen ein.
»Okay, Jim, danke.«
Er schloss die Tür, und ehe sie sich umdrehen konnte, hörten sie aus dem Haus eine laute Stimme:
Du Arschloch, warum musstest du unbedingt darüber reden?
, gefolgt von einem harten Schlag gegen die Wand.
Libby Day
Jetzt
A ls sie wieder im Auto saßen, sagte Lyle nur vier Worte. »Was für ein Albtraum.«
Als Antwort erwiderte ich nur
mmmmm
. Krissi erinnerte mich an mich selbst. Habgierig und verunsichert, immer darauf erpicht, Dinge für zukünftige Notfälle zusammenzuraffen, wie ein Eichhörnchen. Die Chipstüte. Wir Schnorrer mögen kleine Lebensmittelpackungen, weil man sie den Leuten leichter aus den Rippen leiern kann.
Zwanzig Minuten fuhren wir mehr oder weniger schweigend weiter, bis Lyle schließlich mit seiner Nachrichtensprecherstimme die Sache folgendermaßen zusammenfasste: »Dass Ben sie missbraucht hat, war also offensichtlich eine Lüge. Ich denke mal, dass sie ihren Dad auch angelogen hat. Und ich denke, Lou Cates ist durchgedreht, hat deine Familie umgebracht und irgendwann später
Weitere Kostenlose Bücher