Dark Road
letzter Zeit hörten sie nur noch Radio Barnacle. Die Sechs-Uhr-Nachrichten.
Momma Truth war wieder da. »Zu heiß, viel zu heiß heute«, raunte sie warm und weich wie immer. »Drei weitere Gewitterfliegen sind in Sugar Town gesichtet worden, also soweit man sie sehen kann. Bisher gab es noch keine Vorfälle, aber das Rathaus rät allen in den nächsten Tagen zur Vorsicht. Ist eben die gefährliche Jahreszeit, Leute, und dazu die ungewöhnliche Hitze und die Windstille.
Die Wasserdemonstrationen, die als friedlicher Protestmarsch und Massenkundgebung vor dem Rathaus begonnen haben, sind ein wenig außer Kontrolle geraten. Momma Truth rät euch: Geht da nicht hin, meine lieben Kinder. Gerüchten zufolge haben sich mittlerweile Schmugglergangs aus Sugar Town unter die Menge gemischt, um ein paar alte Rechnungen mit der Polizei zu begleichen. Sie verteilen Drachen-Rum an jeden, der dumm genug ist, ihn zu trinken. Einige leicht reizbare Leute haben sich auf den Weg nach Merchant’s Hill gemacht, zum Scarspring-Haus.
Und wo ist unser geschätzter Bürgermeister und Trollologe, Mr. Anselm Scarspring? Niemand weiß es. Kein Kommentar aus dem Rathaus. Und auch keine Spur von Golightly. Vielleicht sind die beiden einfach in den Park gegangen. Trinkt einen schönen, kühlen Drink für mich mit, Gentleman. Am besten trinkt ihr für uns alle.«
Im Hintergrund hörte man ein Baby schreien.
»Ich muss los«, sagte Momma Truth. »Passt auf euch auf.«
Zack schaltete das Radio wieder aus. Moe knurrte.
»Hörst du das?«, zischte Clovis.
In der Ferne hörten sie Lärm. Es klang wie etwas kurz vorm Überkochen. Geräusche drangen zu ihnen herauf, Stimmen, Hupen, Schreie, Schüsse.
»Klingt irgendwie unerfreulich«, sagte Clovis.
»Nur ein kleines bisschen.«
»Und es kommt auf uns zu, laut Momma Truth.«
»Hört sich auf jeden Fall so an.«
»So oder so ist hier kein besonders guter Platz, um zu parken.«
In diesem Augenblick bog aus einer Seitenstraße ein Auto: große Scheinwerfer, verrosteter Kühlergrill, ein eiserner Bär als Schutzengel, der mit einem Seil festgebunden war. Mit einem rasselnden Geräusch hielt er kurz hinter den Mülltonnen.
»Eindeutig kein Scarspring-Wagen«, sagte Clovis. »Der Auspuff ist locker, ein Datchet Sedan. Muss fast zwanzig Jahre alt sein. Es ist die kleine Frankie, sieh mal, sie kommt auf uns zu.«
Frankie kam mit ihren Stöckelschuhen zum Beifahrerfenster geklappert. Clovis machte die Tür auf und sprang hinaus.
»Hallo«, sagte sie atemlos. »Was macht ihr denn hier? Eis verkaufen?«
»Nein«, sagte Clovis. »Das ist nicht unbedingt unser Lieblingsplatz dafür.«
»Ich muss hier jemanden treffen. Aber er ist nicht da. Und Hat lässt mich nicht aus den Augen. Er sitzt im Auto. Meine Mum ist mit dem Baby wieder zu Hause.« Sie verzog das Gesicht. »Ich habe so eine Art Hausarrest.«
»Wir wissen, mit wem du verabredet bist«, sagte Clovis. »Ernesto Scarspring, wegen seiner Katze. Er hat Zack alles erzählt. Wir warten auch auf ihn.«
Zack beobachtete den Datchet Sedan. Er konnte Hat darin erkennen. Dann stieg Hat plötzlich aus. Und trotz seiner Größe und seines Anzugs rannte er beinahe den Berg hinauf. Schnurstracks auf die Mülltonnen und den Lumpenhaufen zu. Er starrte irgendetwas an. Nein, nicht irgend etwas. Irgendjemand.
»Ich geh da mal runter«, sagte Zack schnell. »Seht ihr, wo Hat steht? Da liegt jemand. Ich dachte, es wäre nur ein Haufen Klamotten oder so was. Ich gehe nachsehen.«
Er riss an dem Verschluss seines Gurtes. Irgendetwas stimmte da nicht. Stimmte überhaupt nicht.
Er stieg aus dem Van und rannte den Bürgersteig hinunter, dicht gefolgt von Clovis, Frankie und Moe. Die Mauern des Scarspring-Hauses ragten bedrohlich über ihnen auf. Eisenbeschlagene, schwer verriegelte Holztore.
Hat rührte sich nicht, starrte nur auf den Lumpenhaufen. Etwas Dunkles schimmerte feucht auf den staubigen Pflastersteinen. An einigen Stellen hatten sich kleine Pfützen und Rinnsale gebildet.
Moe erreichte den Lumpenhaufen zuerst. Seine Nackenhaare hatten sich aufgestellt und er gab keinen Laut von sich.
Dann Zack und Clovis. Frankie schrie auf und griff nach Clovis’ Hand. Zack bückte sich und versuchte, nicht auch noch zu schreien.
»Er ist tot«, flüsterte er.
»Das sehe ich«, sagte Clovis.
Golightly lag mit offenen Augen auf dem Rücken.
»Er ist tot«, wiederholte Zack.
Hat kniete sich nieder, nahm Golightlys Handgelenk und fühlte den Puls. Niemand
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