Dark Room
gut versteckt, man sah es erst, wenn man schon wenige Meter davorstand. Das dichte Gehölz reichte fast bis zu den Wänden aus dicken Baumstämmen heran, die in den Boden gerammt waren. Die Baumkronen beugten sich über das flache Dach und bedeckten das Haus beinahe völlig, sodass es auch aus der Luft schwer zu erkennen war.
Rundherum herrschte Totenstille. Es wurde schon dämmrig, doch es war kein Tier zu hören, keine singenden Vögel in den Wipfeln, keine Waschbären, die durch das Unterholz strichen, keine hämmernden Spechte. Der Wald schien wie erstarrt den Atem anzuhalten und auf das nächste Mal zu warten, dass es geschehen würde.
Ein kehliger, durchdringender Schrei, gurgelnd und in den Höhen überschlagend zu einem jaulenden Winseln. Kein Tier klang so. Aber wirklich menschlich hörte es sich auch nicht an.
Dann, während einer Pause, leises Lachen von mehreren Personen in der Hütte. Aus den Fenstern fiel ein trübes Licht auf den morastigen Waldboden, der mit herabgefallenen Ästen, kniehohen Brennnesseln, Farn und Zapfen übersät war. Wieder Lachen.
In der Hütte standen zwei Männer und eine Frau um einen Stuhl herum. Sie sprachen sich nur mit ihren Nicknames an: Gote, Lonely Twin und Blondie. An der Decke flackerte eine Glühlampe und beleuchtete Kisten, die mit alten Laken verhüllt waren. Ein weiterer Schatten bewegte sich im Hintergrund. Auf dem Stuhl zwischen den Männern saß eine junge Frau in Jeans und Kapuzenpullover. Ihre Augen waren verbunden, das kurze, tomatenrot gefärbte Haar war sorgfältig zurückgegelt und mit einer Glitzerspange festgesteckt. In ihren Händen drehte sie einen kleinen, schrumpeligen Apfel.
»Ich hätt gern mal was zu trinken«, sagte die Frau mit der Glitzerspange, und der große rothaarige Mann mit einer auffälligen, wie ins Gesicht gehackten Narbe reichte ihr einen Becher mit Strohhalm. »Auch ’n Pillchen zur Entspannung?«, erkundigte er sich. Die Frau schüttelte den Kopf. »Dauert das hier noch lange? Ich krieg Kopfschmerzen von der Augenbinde, die sitzt viel zu fest.«
»Nicht so ungeduldig«, der andere Mann nahm ihr den Becher ab, stellte ihn neben ein aufrecht stehendes Handy auf ein Regal und widmete sich wieder einem langen Rohr, das er zwischen den Händen rollte, ans Gesicht hob und mit dicken Backen durchblies, sodass ein hohler Pfeifton zu hören war. Das Handy war laut gestellt, es rauschte und knackte.
»Gehst du nachher noch jagen?«, fragte ihn Blondie, eine füllige Frau, die sich jetzt aus dem Schatten gelöst und in den Lichtkegel getreten war, und zeigte auf das Blasrohr, aber der Lonely Twin zuckte nur mit den Schultern. »Ich muss ein bisschen üben. Neulich war ich so vernebelt von dem Zeug, das mir der Gote angedreht hat, da hab ich bei freier Sicht mehrfach danebengeschossen wie ein Anfänger.«
Blondie lachte heiser und ein bisschen herablassend.
»So ein hübsches Wild, ideale Jagdbedingungen, und meine Hand zitterte so, dass es mir entkommen ist.« Statt einer Antwort rezitierte die Blonde mit überdeutlicher Lehrerinnenstimme: »Ein Jäger aus Kurpfalz, der reitet durch den grünen Wald, er schießt das Wild daher, gleich wie es ihm gefällt. Juja, juja, gar lustig ist die Jägerei, allhier auf grüner Heid, allhier auf grüner Heid.«
Die sitzende Frau und der Gote lachten. Dann war wieder Stille, bis die kratzige Stimme einer älteren Frau aus dem Handy drang: »Geht das auch mal weiter, oder hat sich der Sieger des Tages für Tod durch Verhungern entschieden?«
»An Langeweile gestorben«, murmelte der Gote und sagte dann etwas lauter in Richtung des Handys: »Kein Stress, Herzdame. Der Body liegt schon bereit, alles fertig. Meister Jabberwocky hatte ja gesagt, dass er etwas später kommt. Sobald er da ist, fangen wir an.«
Wie aufs Stichwort brach im Nebenraum wieder das Gebrüll los. Unartikulierte Schreie wechselten sich mit Wortfetzen in einer fremden Sprache ab. Einige deutsche Beleidigungen und Schimpfworte waren auch dabei.
»Soll ich ihn ausstellen?«, fragte Blondie, aber der Lonely Twin mit dem Blasrohr hielt sie zurück. »Nö, lass mal, ich hör das ganz gern. Wenn die Beute vital ist, macht die Jagd doch viel mehr Spaß. Aas fressen kann ja jeder.«
Die sitzende Frau scharrte mit den Füßen. »Ich hab diese Vorstellungen schon ganz lange«, fing sie zögerlich an, »erst waren es nur Bilder, die hab ich schnell weggeschoben, aber dann wurde es immer drängender, und ich glaube, dass das zu mir
Weitere Kostenlose Bücher