Dark Silence - Denn deine Schuld wird nie vergehen
brauste er auf. »Hör auf, darauf herumzureiten. Ich werde organisieren, dass du den Alten in ein paar Tagen besuchen kannst, okay? Aber lass uns heute Nacht keine weiteren Pläne machen. Wir regeln das morgen.«
»Ich nehme dich beim Wort.«
»Das war mir klar«, erwiderte Alex trocken und verließ ohne ein weiteres Wort das Zimmer. Marla war zu erschöpft, um zu reagieren. Sie wartete darauf, dass er die Tür schloss, dann zog sie sich vollends aus und ließ die Kleidung auf einem Haufen am Boden liegen. Trotz des Grauens dieser Nacht, trotz ihrer widersprüchlichen Gefühle für Nick, trotz der Ahnung, dass irgendetwas hier ganz und gar nicht in Ordnung war, schlief sie sofort ein.
Nick leerte sein Glas, zog sich bis auf die Boxershorts aus und ließ sich aufs Bett fallen. Er schloss die Augen und wollte nur noch schlafen, doch die Bilder von Marla ließen ihm keine Ruhe – teils von der jüngeren Frau, die er so intim gekannt hatte, teils von dieser neuen, älteren, warmherzigeren Marla, einer Frau ohne Erinnerung, ohne Vergangenheit, die dennoch immer noch auf ihn ansprach.
Hatte jemand versucht, sie umzubringen? Aber wer? Warum? Und weshalb wünschte Alex so dringend, dass er, Nick, hier im Haus wohnte? Das alles bescherte ihm ein ungutes Gefühl, so, als tappte er in eine sorgfältig vorbereitete Falle.
Wieso sah Marla der mysteriösen Pam Delacroix so ähnlich? Und wer zum Teufel war Pam? Eine Freundin? Eine Bekannte?
Er hörte, wie die Tür zur Suite geschlossen wurde. Darauf folgten Schritte im Flur. Es war wahrscheinlich nur Alex, der einen Drink brauchte, so wie er selbst vorhin. Trotzdem setzte Nick sich im Bett auf, war auf der Stelle hellwach. Hatte Marla nicht gemeint, jemand habe an ihrem Bett gestanden? Sich über sie gebeugt? Gedroht, sie umzubringen?
Nick sprang hastig aus dem Bett, durchquerte das Zimmer und öffnete die Tür zum Flur im selben Moment, als sich die Türen des Aufzugs schlossen. Mit klopfendem Herzen betrat er die unverschlossene Suite und Marlas Schlafzimmer, wo sie völlig erschöpft im Bett lag und schlief wie eine Tote. Er biss die Zähne so fest zusammen, dass es schmerzte, und widerstand dem Drang, ihr über die Wange zu streicheln. Anschließend sah er nach dem Baby und öffnete sogar die Tür zu Cissys Zimmer einen Spalt, als er das leise Summen eines Motors und das Klacken des Garagentoröffners vernahm.
Jemand fuhr weg. Zu dieser nächtlichen Stunde?
Nick trat in Cissys Zimmer ans Fenster und sah die Heckleuchten von Alex’ Jaguar, der vor dem elektronisch gesteuerten Tor wartete, bis es sich öffnete. Der Wagen fuhr rasant an und verschwand mit hoher Geschwindigkeit den Berg hinunter. Nick sah auf die Uhr. Es war nach halb zwei morgens.
Wohin zum Teufel fuhr sein Bruder?
Er wollte sich mit jemandem treffen.
Aber mit wem? Und warum?
Es hat mit Marla zu tun.
Die nächsten paar Tage verbrachte Marla in einem Nebel von Tabletten und Schmerzen. Ihre verkümmerten Kiefermuskeln wurden langsam wieder kräftiger. Tom war, wie Alex ihr versichert hatte, immer rasch mit Medikamenten zur Stelle oder mit zerkleinertem Essen, das sie kaum schlucken konnte, und kaum dass ihr Kopf einmal klarer wurde, setzte gleich wieder die Benommenheit ein. Die Jalousien waren geschlossen, eine Lampe stark gedimmt, und ihr Zimmer wirkte auf sie mehr wie eine Totenkammer als wie ein Schlafraum.
Sie konnte den Tag nicht von der Nacht unterscheiden, hatte keine Kraft, konnte sich kaum bewegen.
Doch sie spürte, dass etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Jedes Mal, wenn sie anfing, wieder klar zu denken, Kraft zu schöpfen, hüllte der Nebel ihren Verstand erneut ein, und sie war verloren. Orientierungslos. Die Bewusstlosigkeit kam und ging; Marla empfand nichts als trostlose, tiefe Verzweiflung.
»Keine Tabletten mehr«, verlangte sie erschöpft am zweiten Tag – oder war es der dritte? »Ich bin … zu weggetreten.«
»Aber Sie sind auf dem Weg der Genesung.« Tom half ihr, etwas zu essen, das an Erbsensuppe erinnerte.
»Nein … Da stimmt etwas nicht …« Doch er ließ nicht locker, und als sie sich bei Alex beschwerte, streichelte er ihr den Kopf und behauptete, sie mache große Fortschritte. Doch Marla war benebelt, stand unter Drogen, und abgesehen von gelegentlichen Gängen zur Toilette war sie weitgehend ans Bett gefesselt.
»Ich bin in großer Sorge um sie«, erklärte Eugenia, als sie Marla mit dem Baby besuchte. Marla sehnte sich danach, den kleinen James in
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