Dark Silence - Denn deine Schuld wird nie vergehen
in ihrem Blick. »Ach, du bist verrückt.« Sie trommelte mit den Fingern auf die Kommode. Als ihr Blick auf die Schmuckschatulle fiel, dachte sie wieder an den fehlenden Ring. In ihrem Leben gab es so vieles, was ihr unstimmig erschien.
Verzweifelt knöpfte sie ihren Mantel auf und warf ihn aufs Bett. Sie hatte gerade den Reißverschluss ihres Jogginganzugs geöffnet, als es leise an ihrer Tür klopfte und Alex den Kopf durch den Spalt steckte.
»Ich habe nach den Kindern gesehen«, erklärte er. Marla kämpfte den Impuls nieder, den Reißverschluss rasch wieder zu schließen. Ihr BH war zu sehen, ihr Brustansatz und der nackte Bauch, und sie fühlte sich, als sei sie völlig unbekleidet. Alex’ Blick glitt über ihren Oberkörper, doch er sagte nichts. »Sie schlafen beide.«
»Schön.« Vor Verlegenheit schoss ihr die Röte ins Gesicht.
»Brauchst du noch etwas?«
»Nein, ich wüsste nicht.« Er sollte einfach gehen. Sofort.
»Ich sage Tom Bescheid, damit er dafür sorgt, dass du deine Medikamente regelmäßig einnimmst.«
Marla schüttelte den Kopf. »Behellige ihn nicht damit, das kann ich auch allein. Gib mir einfach die Tabletten, und glaub mir, wenn die Schmerzen einsetzen, werde ich sie schon schlucken.«
Mit einem Schlag war Alex’ Ruhe dahin. Gereizt entgegnete er: »Lass uns heute Nacht nicht mehr streiten, okay? Schon gar nicht wegen Tom. Er ist ein Profi. Er wird sich um dich kümmern.« Seine Stimme klang fest. Autoritär. Befehlsgewohnt.
Marla lag eine hitzige Entgegnung auf der Zunge, doch sie beherrschte sich. Im Augenblick war sie einfach zu müde, um zu streiten. Morgen würde sie alles regeln. »Also gut.«
»Na siehst du«, sagte Alex in sanfterem und versöhnlicherem Tonfall, als er erkannte, dass sie den Widerstand aufgab. »Also, dann sehen wir uns morgen …«
»Moment«, rief Marla, der plötzlich ein Einfall kam. Als Alex sie fragend ansah, hob sie die rechte Hand und bewegte den Ringfinger. »Du hast nicht zufällig meinen Ring gesehen?«
»Du erinnerst dich an ihn?« Alex war fassungslos.
»Ich wünschte, es wäre so. Joanna hat ihn erwähnt. Und ich dachte, du wüsstest vielleicht, wo er ist – wo ich ihn aufbewahre, wenn ich ihn ablege.«
»Wahrscheinlich hier irgendwo«, erwiderte er mit einer vagen Geste, die das ganze Schlafzimmer einschloss.
»Hier ist er nicht. Ich habe das ganze Zimmer abgesucht, von oben bis unten. Ist das nicht seltsam? Joanna sagt, ich hätte ihn immer getragen. Sie meinte schon, jemand im Krankenhaus könnte ihn gestohlen haben.«
»Das bezweifle ich. Vielleicht solltest du noch einmal nachsehen.« Alex wirkte unruhig, sah auf die Uhr. »Du hast in der letzten Zeit eine Menge durchgemacht, Marla. Der Ring dürfte deine geringste Sorge sein.«
»Joanna sagte, er war ein Geschenk von meinem Vater.«
»Conrad hat dir viele Geschenke gemacht.«
»Ach ja?« Das überraschte Marla. Sie hatte Fotos von ihrem strengen Vater gesehen, und wenn sie die Bilder betrachtete und versuchte, Erinnerungen an den Mann heraufzubeschwören, dann wusste sie intuitiv, dass sie nie im Leben auch nur gemeinsam über einen Witz gelacht hatten, dass er sie im Grunde nicht mochte. Sie spürte, dass Conrad Amhurst ein Egozentriker war, der wenig Zeit für seine Kinder erübrigte, und sie hatte nicht das Gefühl, ihm jemals nahegestanden zu haben – im Gegenteil. Zwar erinnerte sie sich nicht an ihn, doch ihr Gefühl sagte ihr, dass er sie nicht gemocht hatte, dass sie in irgendeiner Weise eine Enttäuschung für ihn gewesen war.
Vielleicht lag es daran, dass sie als Erstgeborene eine Tochter war, nicht der erhoffte Sohn – eine archaische Denkweise, die noch immer weit verbreitet war. Ihr eigener Sohn James war das Paradebeispiel für den vergötterten Kronprinzen, während seine ältere Schwester einen Groll hegte und unter einem schweren Komplex litt, weil sie sich übergangen fühlte.
»Dein Vater hat dich mit Geschenken überhäuft«, versicherte Alex. Er steckte die Hände in die Manteltaschen und lehnte sich an den Türrahmen.
»Was für Geschenke zum Beispiel?«
»Ach Gott, Marla … Autos, Aktien, Obligationen, eine Immobilie. Alles, was dir einfällt – du hast alles von ihm bekommen.«
»Das ist ja gerade das Problem, Alex. Mir fällt nichts ein. Außer dem Ring.« Sie massierte sich den Nacken und ließ den Kopf kreisen. Herrgott, sie war müde. »Wie ich schon sagte, ich will meinen Vater sehen«, erklärte sie.
»Ich weiß, ich weiß«,
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