Dark Silence - Denn deine Schuld wird nie vergehen
Francisco –, dann ging er nach unten.
Zum Glück hatte Alex den Schlüssel zum Barschrank stecken lassen. Nick nahm eine Flasche Scotch heraus und suchte nach einem Glas. Draußen rauschte der Wind, hier im Haus jedoch waren das Ticken der alten Standuhr in der Eingangshalle, das leise Summen der alten Heizungsanlage und das Knarren von hundert Jahre altem Holz die einzigen Geräusche. Weit entfernt von meinem Häuschen an der Küste von Oregon, dachte er und schenkte sich einen ordentlichen Schluck ein. Winzig, kompakt, mit einem Dach, das er selbst gedeckt hatte, alten oder aus zweiter Hand gekauften Möbeln und einem dreibeinigen Hund, der zugleich Alarmanlage und bester Freund für ihn war. Nick hatte ausreichend Vermögen auf der Bank und an der Börse und nahm aus seinen Investitionen in Wohn- und Bürogebäude, die er gekauft hatte, als er noch in Seattle lebte, genug ein, um sorgenfrei leben zu können. Er hätte sich auch einen aufwendigeren Lebensstil leisten können, aber das wollte er nicht. Es brachte nur Ärger ein.
Alex’ Leben war Beweis genug für diese traurige Tatsache.
Ja, Nick hatte ein Leben – ein Leben, wie er es sich wünschte, ein Leben in Freiheit.
Was zum Teufel willst du dann hier?
Er gab ein paar Eiswürfel in sein Glas und ging zum Kamin, in dem unter der Asche noch die Glut eines kürzlich verloschenen Feuers glomm. Trotzdem erschien der Raum ihm kalt. Steril. Kein bisschen warm und einladend. Wie der Rest dieses verfluchten Hauses. Wie seine Familie. Wie sein Leben, bevor er wegen der Affäre mit Marla umgezogen war. Er erinnerte sich, wie sie ihn geküsst hatte, als wolle sie nie wieder aufhören, wobei kleine leise Seufzer aus ihrer Kehle drangen. Wenn er sie berührte, mit den Fingern an ihren bloßen Armen hinaufstrich, senkte sie halb die Lider, so dass ein Vorhang aus dunklen Wimpern das verführerische Grün ihrer Iris verbarg. Sie hatte bebend in seinen Armen gelegen, geflüstert, dass nur er sie so erregte, sein Ohr mit der Zunge liebkost und mit kehliger Stimme geflüstert: »Bitte, Nick, gib mir mehr … Ich will so viel mehr …«
Er schloss die Augen und nahm einen großen Schluck von seinem Drink. Damit war er an einem Punkt angelangt, bei dem sich wie vor einigen Jahren alles um sie drehte – damals hatte er San Francisco wegen Marla verlassen, jetzt war er wegen ihr wieder hergekommen. Und auch wenn sie sich verändert hatte, spürte er doch immer noch denselben verdammten Sog, ja, es reizte ihn, die Grenze zu überschreiten, allen Anstand, alle Moral fahrenzulassen und der dunklen Verführung dieser Frau nachzugeben. Ja, sie war verändert. Sehr verändert. Sie war freundlicher, sanfter, hatte mehr Sinn für Humor, und auch wenn er tief in ihrem Inneren eine gewisse Härte ahnte, war sie doch auch verletzlich – eine Frau, der er nicht widerstehen konnte. Es war so seltsam, als würde er sich wieder verlieben, diesmal noch heftiger und in eine andere, tiefgründigere Frau. Die Kinder hatten sie teilweise von ihrer Selbstsucht geheilt, sie war verspielter, rücksichtvoller gegenüber ihrer Umgebung. Das, was ihn vor all den Jahren an Marla gestört hatte, war schwächer geworden, doch unter ihrer schönen Haut, tief in ihrer Psyche und ihrer Libido, verbarg sich dasselbe Animalisch-Weibliche, worüber er für ein paar gestohlene Augenblicke purer Sinneslust den Verstand, seine Urteilsfähigkeit, alle Vernunft verloren hatte.
Ihre Treffen, immer geheim und nur zu zweit, waren romantisch und wild-erotisch gewesen. Es gab nichts, was sie nicht getan hätte, nichts, was sie nicht erleben wollte, keine Grenzen. Ihre Arme waren weit geöffnet, ihre Gedanken eilten voraus zum nächsten sinnlichen Vergnügen, ihre Haut war so heiß, dass sein Verstand dahinschmolz, wenn er bei ihr war. Nick dachte an ihre glitzernden frechen Augen, oh, diese süße, gefährliche Verlockung! Ihren nassen Mund auf seiner Haut zu spüren, wenn ihre Zunge die Formen seiner Muskeln erforschte – in solchen Momenten fühlte er sich schwach und bedürftig. Keine Frau hatte seither an Marla herangereicht.
Für fünf Liebesminuten mit ihr wäre er durch die Hölle gegangen. Und eines Tages, als sie sich trafen, küsste sie ihn züchtig auf die Wange, schenkte ihm einen strahlenden Blick, der sagte: »Ich weiß, du verzeihst mir«, und teilte ihm mit, dass es vorbei war. Sie habe einen anderen kennengelernt. Dieser andere war rein zufällig Nicks Bruder.
»Scheiße«, knurrte Nick
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