Dark Silence - Denn deine Schuld wird nie vergehen
Schläger heraus, wog ihn in der Hand, hob und senkte ihn, wartete auf das Gefühl der Vertrautheit. Deine Rückhand hat mich das Fürchten gelehrt.
»Okay, Tennis-Ass, zeig, was du kannst«, ermahnte Marla sich.
Sie tat, als würde sie mit der Linken einen Ball in die Luft werfen, und holte gleichzeitig mit der Rechten nach rückwärts aus. Im Bruchteil einer Sekunde schwang sie den Schläger hoch über ihre Schulter und schlug ihn mit aller Kraft abwärts. Der Schläger zischte an ihrem Ohr vorbei. Er lag ihr nicht in der Hand. Der Griff war zu groß, das Gewicht stimmte nicht. Hatte sie tatsächlich Turniere gewonnen? Sie versuchte, sich zu konzentrieren, doch es gelang ihr nicht.
»Welch eine Überraschung«, verhöhnte sie sich selbst. Der Schrank war plötzlich zu eng, angefüllt mit Kleidern und Erinnerungen, die nicht zu ihr zu gehören schienen. Sie musste fliehen, diesem fremden Haus mit seinen dunklen Geheimnissen und verschlossenen Türen entkommen. Sie wollte wieder atmen können. Sich selbst finden. Marla nahm eine Matrosenjacke vom Bügel und eilte die Hintertreppe hinunter, durch einen Schmutzraum auf eine überdachte Veranda. Noch ein paar Stufen, dann folgte sie einem Gartenweg durch das Gelände. Feiner Nebel umfing die uralten Rhododendren, Farne und Azaleen, hohe Fichten reckten ihre Wipfel, bis sie im Nebel verschwanden. Dieser Teil des Grundstücks auf dem Stadtberg wirkte seltsam isoliert.
Marla vergrub die Hände in den tiefen Taschen ihrer Jacke und folgte dem von Regen und Fichtennadeln schlüpfrig gewordenen Pflasterweg. Ihr Atem bildete Dampfwolken vor ihrem Mund. Fröstelnd ging sie an einer Reihe terrassenförmig angelegter Teiche vorbei. Unter einem halben Dutzend Seerosenblätter zogen Kois träge ihre Bahnen.
Sie war sich beinahe sicher, diese Teiche nie zuvor gesehen zu haben.
Beinahe.
Frustriert blickte sie am Haus hinauf. Die Fenster im obersten Stockwerk waren erleuchtet. Feuchtigkeit senkte sich auf ihre Wangen. Aus dem Augenwinkel sah sie eine Bewegung, einen dunklen Schatten in einem der Fenster im Obergeschoss. In ihrem Zimmer? Aber von dort kam sie ja gerade … Sie erkannte das Muster der Vorhänge … Aber wer sollte sich in ihrem Schlafzimmer aufhalten? Außer dem Personal war niemand zu Hause.
Das musste es sein. Wenn sich jemand in ihrem Zimmer aufhielt, dann wahrscheinlich das Hausmädchen, das aufräumte. Außerdem, wen kümmerte es? Sie hatte schließlich nichts zu verbergen. Trotzdem … Marla blickte noch einmal zum Fenster auf, doch die Gestalt war verschwunden.
Verärgert über ihre eigene allzu rege Phantasie, zog sie sich die Kapuze über den Kopf und umrundete einen Bereich des Gartens, in dem zurückgeschnittene Rosensträucher standen. Alle Blüten waren längst verschwunden, geblieben waren nur kurze dornige Stengel.
Ihre Nackenhaare sträubten sich. Sie hatte das Gefühl, beobachtet zu werden. Marla drehte sich um und blickte noch einmal am Haus hinauf. Da war sie wieder, die dunkle Gestalt, jetzt hinter einem anderen Fenster … auf der anderen Seite der Suite … in Alex’ Räumen? Aber die waren doch abgeschlossen. Sie selbst hatte versucht, den Türknauf zu drehen. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Sicher war es nur jemand vom Personal, der einen Generalschlüssel hatte. Doch das unbehagliche Gefühl, dass sie beobachtet … bewacht wurde, blieb. Ein Regentropfen rann von ihrer Kapuze, und sie blinzelte. Innerhalb dieses Sekundenbruchteils war das Bild verschwunden. Keine finstere Gestalt lauerte mehr in dem dunklen Zimmer. Keine unheimliche Bedrohung.
Du erschrickst vor deinem eigenen Schatten, wies sie sich selbst zurecht, doch eine Gänsehaut überzog ihre Arme, als sie durch eine Laube schritt und eine Schaukel entdeckte, die bereits Rost ansetzte. Hatte sie hier jemals mit Cissy geschaukelt? Ihre Tochter aufgefangen, wenn Cissy lachend die kleine Rutsche hinuntersauste?
Denk nach, verdammt noch mal, Marla. Konzentrier dich! Erinnere dich!
Sie setzte sich auf die Schaukel und stieß sich mit den Fußspitzen ab. Unter der Schaukel hatten sich Furchen in den Kies eingegraben, tiefe Eindrücke von kleinen Füßen, in denen sich nun Pfützen sammelten. Marla schloss die Augen und hörte die Geräusche der Stadt, das Summen des Verkehrs, das Klappern eines Cablecars. Nicht allzu weit entfernt kläffte sich ein Hund die Seele aus dem Leib. Jenseits der Ziegelmauer lebten Nachbarn. Am Fuß des Berges erstreckte sich die Stadt, aber
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