Dark Silence - Denn deine Schuld wird nie vergehen
hier, auf diesem ummauerten Grundstück, fühlte sie sich von der Welt abgeschnitten.
Dabei lag doch San Francisco direkt hinter diesem elektronisch gesteuerten Tor.
Sie musste es nur passieren.
Und wohin dann?
»Egal«, murmelte Marla. Ihre Hände froren an den kalten Eisengliedern der Schaukelketten. Nicks Hotel liegt nur ein paar Häuserblocks die Straße hinunter. Ausgeschlossen, dorthin zu gehen, ermahnte sie sich selbst, aber vielleicht fand sie, wenn sie dieser eleganten Festung erst einmal entkommen war, ein bisschen Frieden und konnte die Rückkehr ihres verdammten Erinnerungsvermögens erzwingen. Sie musste so viel wie möglich über Pam Delacroix erfahren – wer die Frau gewesen war, woher Marla sie kannte und warum sie Pams Tochter hatten besuchen wollen.
Tausende von Fragen schwirrten ihr durch den Kopf. Dazu überkamen sie Schuldgefühle, wenn sie an die zwei Menschen dachte, die bei dem Unfall ums Leben gekommen waren. Zwei Menschen, die Familien hatten. Es drängte sie zu beten, doch sie wusste instinktiv, dass Beten nicht zu ihren regelmäßigen Gewohnheiten gehörte. Aber heute, sagte sie sich, konnte sie mal eine Ausnahme machen. Ein wenig Spiritualität würde nicht schaden. Nur fiel ihr kein einziges Gebet ein, als sie da auf der Kinderschaukel saß und das Regenwasser, das sich auf dem Sitz gesammelt hatte, durch ihre Jeans drang.
Sie hörte das Knirschen von Schritten auf dem Kies und erstarrte, die Hände um die Schaukelketten gekrampft.
»Marla?«
Ihr Herz schlug schneller, als sie Nicks Stimme hörte.
Er erschien im Eingang zur Laube und sah sich rasch auf dem Spielplatz um. »Ich habe mich schon gefragt, wo du steckst.« Er trug eine abgewetzte Lederjacke und schäbige Jeans. Unter einem Baldachin aus entlaubter Klematis blieb er stehen. »Was treibst du hier?«
»Ich denke nach. Jedenfalls versuche ich es.«
»Schon Erfolg gehabt?«
»Schön wär’s«, antwortete sie mit einem halben Lächeln. »Und du? Was führt dich hierher?«
»Ich habe dich gesucht.« Nicks Gesicht war hart und kantig, mit kräftigem Kiefer, schmalen Lippen und einer nicht ganz geraden Nase. Er blieb breitbeinig am Eingang zur Laube stehen, als wagte er sich nicht näher heran, und sagte: »Ich wollte dich unter vier Augen sprechen.«
Ihre Nackenmuskeln verkrampften sich. Im Morgennebel fing sie seinen eindringlichen Blick auf. Verbotene Bilder von Küssen stahlen sich in ihr Bewusstsein. Eine Sekunde lang fragte Marla sich, wie es sein würde, mit ihm zu schlafen, seine Haut zu berühren, darunter seine Muskeln zu spüren, mit den Fingerspitzen über diesen kantigen, bartschattigen Kiefer zu streichen. Ihr Magen krampfte sich vor Erwartung zusammen, und innerlich schalt sie sich wegen der Lust, die in ihrem Blut rauschte. Er war ihr Schwager. Sie war eine verheiratete Frau. Verheiratet . Solche Phantasien waren tabu, sie durfte sie sich nicht gestatten. Nein, sie würde sie nicht zulassen.
»Ich wusste, dass heute Morgen niemand zu Hause sein würde. Cissy ist in der Schule, Mutter auf einer Vorstandssitzung in Cahill House, Alex hat eine Konferenz in der Stadt, da dachte ich mir, es wäre die beste Gelegenheit, dich einmal allein anzutreffen«, sagte Nick und unterbrach damit ihre Gedanken.
Marla räusperte sich und glaubte, gefährliche erotische Gedanken in seinen Augen zu lesen. Die gleichen verbotenen Illusionen, gegen die sie selbst ankämpfte. »Warum?«, fragte sie mit erstickter Stimme im unablässigen Rieseln des Regens. Sie redete sich ein, ihre verdrahteten Zähne seien schuld an diesem Tonfall, doch insgeheim wusste sie es besser. »Warum hast du mich gesucht?«
»Ich hatte gestern Abend Besuch«, erklärte er. »Cherise. Sie möchte sich mit dir treffen.«
»Warum kommt sie dann nicht einfach her?«, fragte Marla und versuchte, nicht darauf zu achten, dass seine Jeans lässig tief auf den Hüften saß und die Jacke an den breiten Schultern spannte, dass er unglaublich sexy aussah – verboten sexy.
»Alex hat es verboten.«
»Er kann sie und ihren Bruder nicht besonders leiden«, bemerkte Marla und löste den Blick von Nick. Dabei erinnerte sie sich an Gespräche zwischen Alex und seiner Mutter über das Geschwisterpaar – Blutsauger, verdammte Blutsauger … Hatten sie sie nicht so genannt?
»Weil sie noch ein Hühnchen mit ihm zu rupfen haben. Ein gewaltiges. Wie auch immer, sie hat mich gebeten, dir ihre Bitte vorzutragen.« Nick verschränkte die Arme vor der Brust, und
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