Dark Silence - Denn deine Schuld wird nie vergehen
Marin County. Ihr Vater, Conrad James Amhurst, lebte in einem kostspieligen Pflegeheim mit Blick auf den Jachthafen von Tiburon. Sofern Paterno richtig informiert war, stand der Alte bereits mit einem Bein im Grab. Bauchspeicheldrüsenkrebs. Conrad Amhurst konnte sich glücklich schätzen, wenn er noch drei Monate am Leben blieb. Den Berichten zufolge war der Mann in jungen Jahren ein Schürzenjäger gewesen, und Marlas Mutter, Victoria, kalt wie ein Fisch. Sie war vor einigen Jahren gestorben, infolge von Komplikationen bei einer Schönheitsoperation – einer Fettabsaugung. Paterno schnaubte verächtlich, ehe er weiter in den Akten las. Ihr einziger Sohn, Rory, hatte als Kleinkind einen Unfall gehabt und war in einer Anstalt gelandet. Damit blieb nur noch Marla als Erbin des reichen Alten. Und sie konnte sich an nichts erinnern. Das behauptete sie zumindest. Paternos Finger trommelten nervös auf die Armlehne des Sessels. Vielleicht log sie. Aber warum, zum Teufel?
Er zerkaute seinen Kaugummi, während er mit schmalen Augen Seite um Seite des Berichts las.
Die Cahills waren nicht gerade der Inbegriff der intakten amerikanischen Familie. Nein, sie erinnerten vielmehr stark an den »Denver Clan«. Eugenia war die Matriarchin – steif und korrekt und mit der Herzenswärme einer lächelnden Schlange.
Alexander, der älteste Sohn und Marlas Gatte, war oberflächlich betrachtet der Traummann einer jeden Frau. Gut aussehend und durchtrainiert, ausgebildet in Stanford und Harvard, hatte er als Anwalt gearbeitet, bevor er in die Fußstapfen seines kranken Vaters trat und das Regiment über Cahill Limited, ein international agierendes Unternehmen, übernahm. Als der Alte den Löffel abgab, hatte Alex alles geerbt.
Doch Paterno traute ihm nicht. Alex Cahill war reich, arrogant und zynisch und wähnte sich über alle Gesetze erhaben. Paterno hatte früher schon mit ihm zu tun gehabt und konnte den arroganten Scheißkerl nicht ausstehen.
Alexanders Bruder Nicholas war offensichtlich das schwarze Schaf der Familie. Während der ältere Bruder in der Schule geglänzt und Sporttrophäen sowie akademische Auszeichnungen gesammelt hatte, war Nick mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Das ging so weit, dass der alte Herr ihm mehr als einmal aus der Patsche helfen musste. Keine der Anklagen, die von Autodiebstahl bis zu illegalem Alkoholbesitz und Vandalismus reichten, war je zur Verhandlung gekommen. Vermutlich weil Daddy alle Betroffenen ausgezahlt hatte, was im Bericht allerdings nicht erwähnt wurde.
Nick hatte mit achtzehn Jahren die High School abgeschlossen und war von zu Hause ausgezogen. Er hatte als Fernfahrer und auf einer Bohrinsel gearbeitet und sich sogar als Rancher in Montana versucht, wo er später Angeltouren organisierte. Er besaß ein eigenes Boot, leitete ein Unternehmen, das Ersatzteile für Lastwagen herstellte, häufte ein kleines Vermögen an und begann in der Gegend von Seattle kleine Unternehmen aufzukaufen und zu verkaufen. Irgendwie wurde er dann Unternehmensberater, gab den Beruf aber vor fünf Jahren unvermittelt auf und ließ sich dann, sicher mit reichlichen finanziellen Mitteln ausgestattet, in irgendeinem Nest in Oregon nieder. Devil’s Cove, du liebe Zeit. Irgendwie passte das.
Jetzt war er zurück.
Wegen des Unfalls? Oder, wie er behauptete, um seinem Bruder in der Firma zur Seite zu stehen? Was war faul in den heiligen Hallen von Cahill Limited?, fragte sich Paterno.
Er beugte sich vor und spuckte seinen Kaugummi in den Abfallkorb, ehe er den Bericht über Nick zur Seite legte.
Dann waren da noch ein Cousin und eine Cousine, verärgert, weil sie sich um das Vermögen der Familie betrogen fühlten. Montgomery Cahill und seine Schwester, Cherise Cahill Martin Bell Favier, behaupteten, sie seien durch ihren Vater und ihren Onkel zurückgesetzt worden. »Monty« war als Junge ein paar Mal in der Jugendstrafanstalt gelandet. Offenbar verfügte sein Vater, Fenton, nicht über so viel Einfluss auf Richter und Cops wie Onkel Samuel. Oder vielleicht wollte er auch, dass der Junge die Strafe für seine Verbrechen verbüßte. Und es bestand noch die Möglichkeit, dass es Fenton einfach nur scheißegal war. Das war nicht ungewöhnlich. Paterno brauchte nur an seinen eigenen Vater zu denken, um zu wissen, wie es war, übersehen oder ignoriert zu werden. Er trank einen Schluck von seinem Kaffee.
Was hatten Marla Cahill und Pam Delacroix miteinander zu tun? Pams Exmann schrie nach Gerechtigkeit,
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