Dark Silence - Denn deine Schuld wird nie vergehen
fröre sie plötzlich bei dem Gedanken an Charles Biggs, einen Mann, dem sie nie begegnet war, einen Mann, den sie, ohne es zu wollen, ins Grab gebracht hatte.
»Offen gesagt, ich weiß nicht, was ich glauben soll«, gestand Alex. Unwillkürlich dachte Marla an die Gestalt, die sie am Fenster gesehen zu haben glaubte.
»Ich meine, heute jemanden im Haus gesehen zu haben.«
Alex hob ruckartig den Kopf. »Wen?«
»Das weiß ich nicht. Ich habe mir eingeredet, es wäre nur Einbildung oder jemand vom Personal. Ich war im Garten und spürte, dass mich jemand beobachtete, und als ich zum Haus aufblickte, war dort jemand am Fenster, aber ich konnte ihn nicht erkennen … oder sie.«
»Herrgott, Marla«, flüsterte Alex. »Warum hast du denn nichts gesagt?«
»Weil ich mir nicht sicher war. Es hätte jemand vom Personal sein können.«
»Aber es hat dir einen Schrecken eingejagt.«
»Ein bisschen schon«, gab sie zu. »Im nächsten Moment war die Gestalt verschwunden.«
»Das reicht. Vorsicht ist besser als Nachsicht, Okay? Ich verschärfe die Sicherheitsmaßnahmen, und wir versuchen unser Glück mit dem Pfleger, einverstanden? In ein paar Tagen oder Wochen, wenn du kräftiger bist, wenn sich die Lage beruhigt hat, gebe ich ihm eine bezahlte Stelle in Cahill House oder lasse meine Beziehungen spielen, damit er einen Job im Krankenhaus bekommt.«
»Das kannst du?«
»Allerdings.« Alex zog noch einmal heftig an seiner Marlboro, dann schnippte er die Kippe ins Feuer. »Wenn Dad mich eines gelehrt hat, dann die Tatsache, dass man für Geld fast alles haben kann. Sieh dir zum Beispiel Nick an. Hätte unser alter Herr ihn damals nicht freigekauft, säße er wohl immer noch hinter Gittern.«
»Er war im Gefängnis?« Das überraschte sie.
»Acht Stunden lang. Wegen Körperverletzung. Jemand war frech geworden, als er mit dir ausging. Nick hat es nicht so freundlich aufgenommen.«
Marla saß da wie vom Donner gerührt.
»Damals war er sehr jähzornig«, fuhr Alex fort. »Und er kann von Glück sagen, dass er nicht fünf bis fünfzehn Jahre aufgebrummt bekommen hat.« Er hob eine Schulter. »Das ist Schnee von gestern. Jetzt ist er sauber.« Er trat zu ihr, fasste sie wieder an den Schultern, und dieses Mal war der Druck beschwörend, aber nicht schmerzhaft, als er sie auf die Füße zog. Sein Atem roch nach Rauch, seine Miene war fest entschlossen. »Also, komm schon. Tom bleibt. Zumindest für eine Weile. Bis es dir bessergeht. Okay?«
Sie fragte sich, ob sie einen Fehler gigantischen Ausmaßes beging, nickte jedoch und ließ zu, dass er sie in die Arme schloss. Sie schmiegte die Wange an den feinen Wollstoff seiner Jacke und schloss einen Moment lang die Augen. »In Ordnung. Für eine Weile«, stimmte sie zu und suchte tief in ihrem Inneren nach ein wenig Liebe für diesen Mann, ihren Ehemann, den Vater ihrer Kinder. Alles, was sie brauchte, war ein kleiner Funke Leidenschaft, eine freundliche Erinnerung, irgendein verdammtes Gefühl, das ihr bestätigte, dass es zwischen ihnen beiden etwas Besonders gab. Sie kämpfte gegen die Tränen und die Enge in ihrer Brust an und sagte sich, dass einfach alles furchtbar falsch war.
Sie gab ihm einen keuschen Kuss auf die glatte Wange und hoffte, sie könnte irgendwie das zerrissene Band ihrer Beziehung neu knüpfen. Alex legte den Arm um sie, drückte sie fest an sich, aber wieder empfand sie nichts. Absolut nichts. Hilflos ballte sie die Hände zu Fäusten und schlug langsam die Augen auf.
Über Alex’ Schulter hinweg bemerkte sie Nick unter dem Türbogen, mit einer Schulter an die Wand gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt. Sein nasses Haar glänzte im Licht des Kronleuchters. Blaue Augen sahen sie mit kaltem Vorwurf an, und sie dachte an ihr Treffen im Garten, an die Leidenschaft, die in seinem Blick geschwelt hatte. Jetzt verzog er den Mund zu einem schiefen, ironischen Lächeln, als sei er unversehens Zeuge einer Szene geworden, mit der er schon lange gerechnet hatte.
»Marla«, sagte Nick gedehnt und voller Spott, »willkommen zu Hause.«
9.
W enn er noch einen Rest von Verstand besaß, suchte er jetzt schleunigst das Weite und nahm sein altes Leben wieder auf, sagte sich Nick, holte ein Bier aus der Minibar, schaltete das Notebook ein und rief seine E-Mails ab. Da war er ja. Walt Haagas Bericht, bereit zum Download. Schön. Sosehr Nick das elektronische Zeitalter verabscheute und sich geschworen hatte, nie Mitglied der Internet-Gemeinschaft zu werden,
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