Dark Silence - Denn deine Schuld wird nie vergehen
sortierte sie auf verschiedene Stapel und legte die Akten aus dem Unternehmen und von Cahill House dazu, die Alex ihm ausgehändigt hatte. Dann machte er sich an die Arbeit.
Irgendwo in diesem Chaos würde er vielleicht einen Hinweis auf die Sache finden, in die er sich hineinziehen ließ. Er musste nur gründlich genug suchen.
Tony Paterno hatte auf ein Wunder gehofft.
Doch nichts dergleichen war geschehen.
Er fädelte seinen 69er Cadillac, ein breites Cabrio, das er von seinem Vater geerbt hatte, in den Verkehrsfluss ein und fuhr in Richtung Golden Gate. Gewöhnlich hielt Paterno sich an die Regeln. Es sei denn, sie standen ihm im Weg. Dann war es schon vorgekommen, dass er sich über die eine oder andere hinwegsetzte. So, wie er es jetzt plante. Nicht einmal vor einem Einbruch schreckte er dann noch zurück.
Pamela Delacroix hatte die Blutgruppe 0 positiv, so, wie es in ihrer Geburtsurkunde verzeichnet war. Marla Cahill war 0 negativ, in Übereinstimmung mit der Patientenkarte des Bayview Hospital. Paterno hatte noch einmal mit den für den Unfall zuständigen Polizeibeamten gesprochen und sich vergewissert, dass ihnen keine fatale Panne unterlaufen war. Pam Delacroix war tot.
So viel zu seiner Rollentauschtheorie.
Er setzte den Blinker, wechselte kurz vor der Brücke die Spur und fragte sich dabei, warum es in diesem Fall einfach keinen Durchbruch gab.
Das Phantombild des Mannes, der in der Nacht von Charles Biggs’ Tod mit Carlos Santiagos Namensschild gesehen worden war, hätte so ziemlich jeden eins fünfundachtzig großen Weißen von etwa fünfundachtzig Kilo darstellen können, der sich zu jenem Zeitpunkt in San Francisco aufgehalten hatte. Der Mann unterschied sich durch nichts von hunderttausend anderen. Er hatte braunes Haar, nicht zu lang, nicht zu kurz, trug einen Oberlippenbart und eine Brille.
Der Verdächtige konnte sein Haar gefärbt, sich den Bart abrasiert haben und auf Kontaktlinsen umgestiegen sein und inzwischen Tausende von Meilen Entfernung zwischen sich und das Krankenhaus gebracht haben.
Also stand Paterno wieder ganz am Anfang.
Er kaute auf seinem ausgelutschten Kaugummi herum und behielt die Stoßstange des Honda vor ihm im Auge, während die Scheibenwischer des Cadillac die Frontscheibe frei von Regen hielten. Im Radio riet gerade eine Telefonpsychologin einer armen Frau, die von ihrem Mann betrogen wurde, »endlich aufzuwachen und den Tatsachen ins Auge zu sehen«. Stirnrunzelnd, in Gedanken versunken, sah Paterno aus den Augenwinkeln die rostfarbenen Kabel der Brücke vorbeihuschen. Nur vage war er sich bewusst, dass er gerade das grüne Wasser der Engestelle zwischen dem Pazifik und der Bucht von San Francisco überquerte und dass sein altes Cabrio mal wieder leck war.
Er fuhr in Richtung Sausalito und versuchte dabei, nicht auf seinen sechsten Sinn zu hören, der ihm eindringlich sagte, dass Marla Cahill nicht die Person war, für die alle sie hielten. Aber wenn es so wäre, müsste ihr Mann doch die Veränderung bemerken.
Amnesie konnte alte körperliche Narben nicht verschwinden lassen, konnte das Aussehen, eine Stimme nicht verändern …
»Zum Teufel.« Um ein Haar hätte er die Abfahrt am nördlichen Ende der Brücke verpasst. Er musste ordentlich Gas geben, um sein altersschwaches Fahrzeug rasch noch vor einen Fernlaster zu setzen und auf den Verzögerungsstreifen zu gelangen. Auf der Richardson’s Bay in der alten Künstler- und Schriftstellergemeinde von Sausalito hatte Pam Delacroix allein in einem Hausboot gelebt. Ihre Tochter war längst flügge, und ihr Exmann, Crane Delacroix, gelernter Ingenieur, arbeitete für eine Software-Firma, die alle Beteiligten reich gemacht hatte, als sie an die Börse ging. Einschließlich Crane. Allem Anschein nach hatte seine Exfrau von ihrem Unterhalt gelebt, nie wieder als Anwältin gearbeitet und sich in allem Möglichen versucht, von Töpferei bis hin zu Schriftstellerei. Halbtags betätigte sie sich als Immobilienmaklerin, hatte aber seit mehr als einem halben Jahr nichts mehr verkauft. Sie arbeitete hauptsächlich von zu Hause aus, brauchte also nicht einmal für einen Arbeitsplatz aufzukommen, den die Firma, mit der sie zusammenarbeitete, ihr gestellt hätte.
Viele Leute wussten von ihr, sagte Paterno sich, aber nur wenige hatten sie wirklich gekannt.
Er stellte den Caddy auf einem Besucherparkplatz ab und suchte die Adresse von Pams Hausboot, das zwischen einem zur Wohnung umfunktionierten Segelboot und einem
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