Dark Silence - Denn deine Schuld wird nie vergehen
entschuldigen?«, fragte Cissy, den Tränen nahe, und ohne eine Antwort abzuwarten, schob sie heftig ihren Stuhl zurück. Im nächsten Moment war sie auf den Beinen, ließ die Serviette fallen und rannte aus dem Zimmer.
»Du hast sie aus der Fassung gebracht«, warf Alex seiner Frau vor.
»Und du hast mich aus der Fassung gebracht«, schleuderte Marla ihm entgegen und ballte frustriert die Fäuste. »Ich halte das nicht mehr aus. Diese Ungewissheit. Und ich werde mich nicht in meinem Zimmer verstecken, bis ich vorzeigbar genug aussehe, um ausgehen zu können, und ich werde verdammt noch mal auch nicht meine Freunde meiden, die mich besuchen wollen, oder meinen Vater und Bruder oder Cherise und ihren Prediger-Gatten oder sonst jemanden ignorieren. Ich will gesund werden, komme, was wolle.«
»Du musst Geduld haben«, redete Eugenia ihr zu.
»Ich bin es leid, ewig Geduld zu haben. Und ich glaube, ich werde anfangen, mich zu erinnern, sobald ich aus diesem Haus herauskomme und mein Leben so weiterführe, wie ich es vor dem Unfall getan habe.«
»Ich finde, sie hat recht«, pflichtete Nick ihr bei.
»Wird es dir nicht peinlich sein?«, fragte Eugenia. »Deine Freundinnen sind schließlich alle … na ja, prominent und …«
»Und sie müssen versnobt oder idiotisch oder ein Haufen Heuchlerinnen sein, wenn sie mich nicht so akzeptieren können, wie ich bin. Joanna Lindquist ist schließlich bei meinem Anblick auch nicht davongelaufen, oder?«
»Das ist doch lächerlich«, sagte Eugenia leise und stand auf, blieb aber noch am Tisch stehen.
Alex starrte Marla an. »Es tut mir leid«, sagte er. »Du hast ja recht. Vielleicht solltest du wirklich ausgehen. Ich … ich war nur so in Sorge um dich.« Er lehnte sich zurück und seufzte. »Du weißt ja, wir geben in der Woche nach Thanksgiving immer eine Party in Cahill House. Ich dachte, du würdest sie in diesem Jahr wohl ausfallen lassen, aber vielleicht ist das keine so gute Idee. Uns bleiben ja noch zwei, drei Wochen. Vielleicht kannst du dich mit Mutters Hilfe darum kümmern?«
Marla wurde mulmig bei dem Gedanken an Dutzende von Gästen, die alle von ihr erwarteten, dass sie die Gastgeberin spielte. Aber sie hatte ja Personal, das ihr zur Hand gehen konnte. Sicher würde sie ihren Beitrag leisten können. »Ich weiß nicht recht, ob ich so einer großen Party schon gewachsen bin.«
»Natürlich nicht.« Eugenia warf ihrem Ältesten einen strafenden Blick zu. »Das ist entschieden zu viel für dich. Lass die Party dieses Jahr ausfallen. Alle werden Verständnis haben.«
»Moment mal. Ich habe nicht nein gesagt, ich meinte nur, dass ich mir nicht sicher bin.« Die Vorstellung von der Feier gefiel ihr immer besser, und sie hatte keine Lust, die arme kleine Kranke zu spielen und zu wissen, dass Familientraditionen und Gesellschaften ihrem Zustand zum Opfer fielen. Ihre Tochter hielt sie ohnehin schon für verrückt. Außerdem musste sie unter Menschen kommen, Freunde treffen. »Okay«, sagte sie schließlich und nickte. »Ich tu’s.«
Eugenia öffnete den Mund, als wolle sie Einwände erheben, doch dann setzte sie sich wieder auf ihren Stuhl.
War Alex’ Lächeln ein wenig beklommen? Oder bildete sie es sich nur ein? »Wunderbar«, erklärte er mit einer Spur von Sarkasmus.
Marla kamen nun doch Zweifel. Vielleicht handelte sie überstürzt. Plötzlich war ihr übel.
»Nun«, sagte Alex, »wenn ihr mich bitte entschuldigen wollt, ich muss noch zu einem Termin in die Stadt. Drinks im Marriott. Japanische Geschäftsleute, die investieren wollen. Das könnte die Finanzspritze sein, die wir so dringend brauchen.« Er ging um den Tisch herum und gab seiner Frau einen Kuss auf die Wange. »Du bleibst noch ein bisschen, nicht wahr, Nick? Um die Damen zu unterhalten?«
Nick schien sich unbehaglich zu fühlen, hob aber in halbherziger Zustimmung die Schultern. »Ja, noch ein Weilchen.«
»Danke.« Sichtlich erleichtert warf Alex einen Blick auf die Uhr und verließ das Zimmer.
»Ich brauche keine Unterhaltung«, erklärte Marla, schob ihren Stuhl zurück und stand auf.
»Nun, ich aber.« Eugenia zog gebieterisch die Augenbrauen hoch.
»Wenn ihr nichts dagegen habt, möchte ich jetzt gern nach Cissy schauen.«
»Sie benimmt sich wie der typische Teenager«, bemerkte Eugenia.
»Ich glaube, ich muss mal mit ihr reden.« Marla wollte nicht nur einiges mit ihrer Tochter klären, sondern hatte vor allem das Bedürfnis, aus der Nähe ihrer Schwiegermutter und der von
Weitere Kostenlose Bücher