Dark Silence - Denn deine Schuld wird nie vergehen
violettem Nagellack zu sehen waren. »Warum bist du nicht einfach wieder so wie früher … bevor du schwanger warst?«, wollte ihre Tochter wissen. »Damit fing alles an, all diese Merkwürdigkeiten. Davor …« Sie brach ab und biss die Zähne zusammen, als hätte sie schon zu viel gesagt. »Ich … ich will nur, dass du wieder normal bist.«
Marla brach es schier das Herz. Ihr kamen die Tränen, doch sie hielt sie mit äußerster Beherrschung zurück. »Glaub mir, Cissy, ich versuche es.«
»Ja, klar.«
»Ehrlich.«
»Klar.« Cissy kniff die Augen zu, drückte den Löwen fest an sich und schniefte, während ihr die Tränen über die Wangen liefen.
Marla näherte sich dem Bett, doch als hätte Cissy die Bewegung wahrgenommen, öffnete sie die Augen und zischte wütend: »Lass mich einfach in Ruhe, ja?«
»Liebling, bitte …«
»Lass es, Mom. Lass mich …« Cissy wischte sich mit dem Handrücken die Tränen ab und hinterließ verschmierte Wimperntusche auf ihrer Wange. »Geh … geh einfach.«
Doch Marla konnte nicht gehen. Noch nicht. Nicht, wenn die Kluft zwischen ihnen immer größer wurde. Sie setzte sich zu ihrer Tochter auf die Bettkante und strich ihr den Pony aus den Augen. Das Mädchen starrte aus dem Fenster in die schwarze Nacht hinaus, wandte das Gesicht ab und zog abwehrend eine Schulter hoch. Marla redete drauflos, wobei ihr vage bewusst war, dass Nick vor der Tür wartete. »Ich weiß, es ist schwer. Für dich. Für mich. Für Dad … Aber ich gebe mir Mühe, Liebling, ich gebe mir große Mühe, und bald wird alles besser. Ich fange an, mich zu erinnern. Heute habe ich mich an James’ Geburt erinnert.«
Cissy erstarrte. »Ach ja?«, entgegnete sie höhnisch, noch immer das Plüschtier im Arm und den Blick aufs Fenster gerichtet.
»Ja.«
»Und an meine? Hast du dich daran auch erinnert? Ich war immerhin dein erstes Kind.« Die goldenen Augen ihrer Tochter forderten Marla heraus, die Wahrheit abzustreiten.
Sie fühlte sich schuldig und wollte lügen, doch Cissy hätte jeden Schwindel schnell durchschaut, und dadurch wäre alles nur noch schlimmer geworden. »Noch nicht.«
Cissy schnaubte verächtlich und verzog den Mund. Hinter ihrer Ironie schien ein geheimer Schmerz durch. »Wahrscheinlich erinnerst du dich nie«, versetzte sie.
»Doch, natürlich. Lass mir nur etwas Zeit.« Wieder berührte Marla Cissys Wange, und das Mädchen zuckte zusammen, als hätte es sich verbrannt.
»Weißt du, eben noch bist du hier reingestürmt. Du … Du warst wie eine Wahnsinnige, als hättest du einen Geist gesehen oder so, und ich war zu Tode erschrocken.«
»Ach, Schätzchen …«
»Und dann«, fiel Cissy ihr ins Wort, und ihre Stimme wurde um eine Oktave höher, »und dann … und dann … habe ich dich im Flur gefunden, du hast gekotzt und geweint und … Mom …« Ihre Stimme brach.
Marla blutete das Herz. Sie wollte ihre Tochter in die Arme nehmen, sie festhalten und ihr versprechen, sie nie wieder loszulassen, doch als sie die Hand ausstreckte, rückte das Mädchen von ihr ab. Marla erhob sich seufzend vom Bett. So kam sie mit ihrer Tochter nicht weiter, sie verschlimmerte nur die ohnehin schon schwierige Situation.
Nick wartete auf sie, mit einer Schulter an die Tür zu Cissys Zimmer gelehnt. Gemeinsam gingen sie über den Flur zum Aufzug.
»Sie hasst mich«, flüsterte Marla ihm auf dem Weg zu.
Nick hielt die Tür auf, und sie trat in die kleine Kabine und lehnte sich an die Rückwand. »Sie ist ein Teenager. Du bist ihre Mutter. Alle Teenager tun so, als würden sie ihre Mütter hassen.« Er drückte die Taste zum Erdgeschoss.
»Nein, es ist mehr als nur das.«
»Denk heute Abend nicht mehr daran.« Er legte einen Finger unter ihr Kinn und hob ihr Gesicht an, zwang sie, ihn anzusehen.
»Du meinst, ich habe Wichtigeres zu tun?«
»Konzentriere dich darauf, dein Erinnerungsvermögen wiederzufinden.«
»Glaub mir, ich wünsche mir nichts sehnlicher.«
Nick senkte den Blick auf ihre Lippen, und sekundenlang glaubte sie, er wollte ihren wunden Mund küssen. Die Luft in der engen Kabine wurde plötzlich stickig, das Atmen fiel ihr schwer. Dann hielt der Lift, und Nick ließ die Hand sinken.
Als sich die Tür öffnete, sahen sie Eugenia wartend in der Eingangshalle stehen. Ihre knochigen Finger nestelten an der Perlenschnur an ihrem Hals. Ihr Blick wanderte von ihrem Sohn zu Marla, und sie zog tadelnd die Mundwinkel nach unten. »Ich habe Lars angerufen. Er wird dich
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