Dark Swan: Schattenkind (German Edition)
helfen. Eines Tages saß ich in einem Obstgarten in der Nähe der Vogelbeerburg und ermutigte sorgfältig jeden einzelnen Baum, seine Früchte wachsen zu lassen. Die Sonne schien, und das Gras – das schnell wieder zu sprießen begonnen hatte – war grün und üppig. Es sangen weniger Vögel als früher, was ein bisschen komisch war. Die Tiere waren so hart getroffen worden wie die Menschen, aber man versicherte mir immer wieder, dass unsere gefiederten und bepelzten Landsleute binnen eines Jahres mit etwas Glück wieder auf ihre alte Zahl kommen würden.
Ich legte meine Hand auf die Borke eines Kirschbaums und schloss die Augen. Ich spürte den Strom seines Lebens und versuchte, diesen Strom zugleich mit mir und mit dem Land zu verbinden, damit wir dem Baum von unserer Kraft abgeben konnten. Plötzlich fiel neben mir irgendetwas mit einem dumpfen Geräusch ins Gras und riss mich aus meiner Trance. Ein leuchtend roter Apfel. Ich lächelte und hob ihn auf.
»Das ist aber keiner von meinen«, sagte ich, als ein vertrauter Schatten über mich fiel.
Dorian setzte sich neben mich und schlug die Beine unter. Er hatte für sich auch einen Apfel mitgebracht und biss hinein. Er schluckte und erwiderte mein Lächeln. »Unsere zweite Ernte. Ich hätte dir von der ersten welche mitgebracht, aber wir brauchten sie selbst so dringend.«
»Du hättest die hier auch behalten sollen.« Ich biss von dem Apfel ab. Er war köstlich. »Die zweite, ja? Ich hinke hinterher.«
Er warf einen Blick nach oben zum Kirschbaum. »Das sieht doch alles sehr gut aus. Außerdem hattest du doppelt so viel Arbeit wie ich, schon vergessen? Du übertreibst es doch nicht, oder?«
Ich legte mich ins Gras zurück und schluckte noch einen Bissen Apfel hinunter. »Ich komme schon klar. Nach dieser verrückten Reise zum Eibenland ist es fast wie Faulenzen, hier den ganzen Tag mit den Bäumen zu verbringen.«
Dorian streckte sich neben mir aus, sodass sich unsere Schultern berührten. »Hast du vor, demnächst in die Menschenwelt überzuwechseln? Du musst doch bestimmt darauf brennen.«
»Und wie ich darauf brenne. Es sind jetzt bald zwei Monate. Zwei Monate, Dorian! Issac und Ivy sind bestimmt längst aus der Klinik entlassen. Es wird Zeit, dass sie ihre Mutter mal kennenlernen. Und Roland muss auch erfahren, dass es mir gut geht. Ich nähere mich langsam dem Punkt, wo die Lande auch ohne mich klarkommen, aber andererseits … Na ja, ich weiß nicht genau, wie der nächste Schritt aussehen soll. Als ich Kiyo das letzte Mal gesprochen habe, hat er deutlich gemacht, dass er auch weiterhin versuchen wird, das Eintreffen der Prophezeiung zu verhindern.«
»Ich bin doch recht zuversichtlich, dass Maiwenn von ganz ähnlichen Aktivitäten in Beschlag genommen wird wie wir hier in unseren Landen.«
»Das bezweifle ich nicht. Aber es würde mich auch nicht überraschen, wenn Kiyo irgendwo da draußen auf der Lauer liegt. Wenn ich die Zwillinge besuche, verrate ich vielleicht ihren Aufenthaltsort.« Ich seufzte. Meine Arbeit der letzten Wochen hatte mir viel Zeit gegeben, darüber nachzudenken. »Ich stecke noch genauso in der Klemme wie vor ihrer Geburt.«
»Nicht ganz. Davor warst du ein bewegliches Ziel, weil du ständig woanders sein musstest. Und jetzt? Deine Kinder müssen sich nicht von einem Ort zum anderen bewegen. Ein fester Ort ist ein sicherer Ort. Geh sie holen. Steck sie hier irgendwo in eine Festung.«
»Aber werden sie je Frieden haben?«, fragte ich traurig. »Selbst wenn sie zwischen lauter Leibwächtern aufwachsen, werden hier alle wissen, wer sie sind. Es wird immer jemanden geben, der sie töten will – oder der jedenfalls Isaac töten will.«
Dorian war hartnäckig. »Ich habe keinen Zweifel, dass sie sehr mächtig sein werden, wenn sie erst einmal älter sind. Dann werden sie auf sich selbst aufpassen können. Und bis dahin, ich schwöre, gebe ich dir mein halbes Heer zu ihrer Sicherheit, ganz gleich, welchen Aufenthaltsort du für sie aussuchst.«
Ich drehte mich zu ihm um und konnte ein Schmunzeln nicht verbergen. »Das halbe? Ist das nicht ein bisschen extrem?«
Er sah mich lange an, mit ernsten Augen. »Wenn es für dich ist? Nein.«
Da verging mir mein Lächeln, und mein Herz machte einen Satz. »Warum solltest du das für mich tun?«
»Was würde ich nicht für dich tun?«
Seine Stimme war heiser, und er ging auf einen Ellbogen hoch, sodass er sich über mich beugen konnte. Ich schloss die Augen und spürte, wie seine
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