Dark Swan: Schattenkind (German Edition)
Blick zu Jasmine. Sie wirkte genauso verdutzt wie ich. Von so etwas hörte ich zum ersten Mal. Das Eibenland und seine Nachbarn lagen in einem ganz anderen Teil der Anderswelt; darum überraschte es nicht, dass ich noch nie davon gehört hatte. Komisch war es trotzdem.
Ilania hielt unser verblüfftes Schweigen anscheinend für Respekt. »Da sie eine solche Zahl von Verbündeten um sich geschart hat, ist das Herrschaftsgebiet meiner Königin ebenso groß wie sehr sicher. Uns ist bekannt, dass Ihr hier unter fortwährender Bedrohung steht – selbst in Eurem eigenen Reich.« Sie wartete, bis zwei Soldaten vorbeigegangen waren, was ihre Worte nur unterstrich. »Meine Königin würde ihre Gastfreundschaft gern auf Euch ausdehnen und Euch eine Zuflucht zur Verfügung stellen, in der Ihr gefahrlos Eure Kinder zur Welt bringen könnt. Tatsächlich wären die beiden, solltet Ihr dies wünschen, danach so lange willkommene Gäste, wie es Euch beliebt. Die Streitkräfte und die Macht meiner Königin würden sicherstellen, dass ihnen kein Leid geschieht; auch wären sie außer Reichweite Eurer Feinde.«
Es stimmte, meine größten Widersacher waren leider zugleich auch meine nächsten Nachbarn. Aber was Ilania sonst noch andeutete, gefiel mir gar nicht. Sie sagte im Grunde, dass meine eigenen Ressourcen nicht ausreichten, um mich und die Zwillinge außer Gefahr zu halten, aber dass ihre Oberkönigin das hinbekam.
»Was führt sie dazu, mir ein solches Angebot zu machen?« Freundlichkeiten von Feinen begegnete man besser grundsätzlich mit Misstrauen.
»Meine Königin ist ebenfalls Mutter und fassungslos über die fortwährenden Angriffe auf Euch und die Ungeborenen. Sie empfindet diese als falsch und feige.« Ilania lächelte freundlich. »Und wie ich bereits sagte, meine Königin ist mit ihren Landen sehr zufrieden. Sie hegt kein Interesse an der Prophezeiung und die verheißene Eroberung der Menschenwelt. Stattdessen ist ihr sehr daran gelegen, freundschaftliche Beziehungen zu einer Monarchin aufzubauen, die ebenfalls über Macht und Einfluss verfügt. Es langweilt sie sehr, so wenige Gleichgestellte zu haben, mit denen sie sich austauschen könnte.«
»Kann ich mir vorstellen«, sagte ich leise. Um uns herum versuchten Diener hektisch, die wimmelnden Scharen in irgendeine Ordnung zu bringen. »Schaut, hier geht es gleich los; darum muss ich meinen Platz einnehmen. Richtet Eurer Königin meinen Dank aus, aber im Moment ziehe ich es vor, hierzubleiben. Wir haben bis jetzt gut für meine Sicherheit sorgen können.« Vom Ohio-Abenteuer einmal abgesehen.
Ilania machte erneut einen Knicks. »Wie Ihr wünscht, Eure Majestät. Meine Herrin wies mich an, Euch im Falle einer solchen Antwort zu sagen, dass ihr Angebot auch dann noch gilt, wenn Ihr Eure Entscheidung revidieren solltet.«
Ich wiederholte meinen Dank und eilte dann mit Jasmine nach vorn. »Das war komisch«, stellte Jasmine fest.
»Das Angebot eigentlich nicht«, sagte ich. »Hier sind doch alle bestrebt, ihre Position zu verbessern. Aber das mit den anderen Königreichen? Das ist komisch.«
Ich hatte keine Zeit, weiter über das Eibenland nachzudenken, weil jetzt hier alles ins Rollen kam. Als gastgebende Monarchin gehörte ich in die erste Reihe. Neben mir stand Dorian, was sowohl seinem Rang als auch seiner Verbindung zum Brautpaar geschuldet war. Die beiden hatten ursprünglich in seinen Diensten gestanden und waren zu mir gewechselt, nachdem ich die Herrschaft über das Dornenland an mich gerissen hatte. Die anderen Monarchen waren nach einem komplexen Rangsystem platziert worden, das ich nicht ganz durchschaute, über das sich die Hochzeitsplaner aber seit Wochen den Kopf zerbrochen hatten. Jasmine stand als meine Verwandte, die jedoch kein Reich regierte, ein paar Reihen weiter hinten. Dorian schenkte mir sein spitzbübisches Lächeln, und es fiel mir schwer, es nicht zu erwidern. Sämtliche Unstimmigkeiten zwischen uns ließen sich zu diesem Anlass problemlos beiseiteschieben, zumal unser Streit wegen Ohio schon fast eine Woche zurücklag. Außerdem, wenn mir überhaupt jemand Auskunft über das Eibenland und seine Satellitenreiche geben konnte, dann war es Dorian.
Von den religiösen Vorstellungen der Feinen hatte ich immer noch so gut wie keine Ahnung, zumal mich auch die Vorstellungen der Menschen eher kaltließen. Immerhin wusste ich, dass die Feinen polytheistisch und naturorientiert waren und ihre Bräuche und Glaubenssätze regional stark
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