Dark Swan: Schattenkind (German Edition)
Pagiel wollte das Risiko, in eines meiner Lande überzuwechseln, gar nicht eingehen. Oder vielleicht hatte er es irgendwie schneller geschafft, als ich dachte, und war längst weg. Uns ging allmählich das Wasser aus, aber wir konnten beide nötigenfalls den Pflanzen der Umgebung welches entziehen. Normalerweise machte ich das nicht gern, aber manchmal war es überlebensnotwendig.
»Dort«, sagte Jasmine und richtete sich auf. Sie zeigte auf eine Stelle, wo Sand aufgewirbelt wurde, als eine Gruppe Reiter in Sicht kam.
»Nicht zu fassen«, sagte ich. »Sie sind von Phoenix hierhergeritten. Er ist wirklich ein moderner Robin Hood.«
Pagiel führte sie an; er war leicht zu erkennen mit seinen roten Haaren, die in der Sonne aufschimmerten. Ein rundes Dutzend Reiter begleiteten ihn, was mir den Mut nahm. Seine ersten Diebeszüge hatte er mit einer Handvoll gemacht. Ein Dutzend war noch kein Heer, deutete aber trotzdem auf zunehmende Unterstützung hin. Nachdem ich die leidenschaftlichen Reaktionen in der Anderswelt miterlebt hatte, ging ich davon aus, dass er mehr hätte rekrutieren können, wenn er gewollt hätte. Immerhin konnten wir froh sein, dass es den meisten Feinen Schwierigkeiten bereitete, hierher in diese Welt zu kommen.
Ich wartete, bis er näher heran war, aber noch nicht so nahe, dass er durch das Tor gehen konnte. Dann sprang ich auf und stapfte los, Jasmine gleich neben mir.
»Pagiel!«, rief ich.
Er machte sich klein im Sattel, und ich spürte sofort, wie der Wind zunahm. Als er uns erkannte, ließ der Wind gleich wieder nach, aber Pagiels wachsamer Gesichtsausdruck zeigte deutlich, dass er uns als Freunden nicht ganz traute. Seine Reiter betrachteten uns mit ebensolcher Vorsicht, und ich sah das Aufblitzen einiger Kupferklingen.
»Eure Majestät? Jasmine?« Pagiel sah zwischen uns hin und her. »Was tut ihr hier?«
»Das weißt du doch.« Ich versuchte, ganz ruhig und friedlich zu wirken. »Wir müssen uns über die Diebeszüge unterhalten, die du unternimmst. Pagiel, du weißt, dass sie nicht richtig sind.«
»Die Menschen haben reichlich!«, rief einer seiner Gefolgsmänner. »Wir haben das Recht, uns unseren Anteil zu holen.«
Pagiel sah ihn nur an, und der Mann verstummte. Irgendwie war aus dem jugendlichen Helfer, mit dem ich mich angefreundet hatte, ein mächtigerer Führer geworden als vermutet.
»Bei uns im Reich hungern die Leute«, sagte Pagiel. »In Eurem Reich mitunter auch. Könnt Ihr ernsthaft behaupten, dass Ihr ihnen nicht helfen wollt?«
»Es droht niemand mehr zu verhungern«, argumentierte ich. »Wir müssen mit Rationierungen auskommen, ja, aber immerhin überleben wir auf ehrenvolle Art.«
Pagiel schüttelte den Kopf. »Darüber haben wir schon gesprochen. Es liegt keine Ehre darin – in bloßem Überleben. Ist es außerdem nicht das, was von mir erwartet wird?«
Bei der Bitterkeit in seiner Stimme zog sich in mir etwas zusammen. Schön. Er wusste es also. Irgendwie überraschte mich das nicht. Wenn er sich in den letzten Tagen zwischen den Welten hin und her bewegt hatte, dann musste er das mit seiner Herkunft mitbekommen haben.
»Von dir wird überhaupt nichts ›erwartet‹«, sagte ich sanft. »Du triffst deine eigenen Entscheidungen.«
»Da höre ich aber anderes. Ich hab doch gehört, was sie gesagt haben, als ich drüben war. Sie haben alle ihre Pläne mit mir. Sogar meine Großmutter. Warum sonst hätte sie es mir nicht sagen sollen?«
»Das weiß ich nicht«, gab ich zu. In seinem Gesicht stand ein nackter Schmerz, der mir das Herz brach. Vielleicht hatte er nach Feinenmaßstäben das Mannesalter erreicht, aber noch war er in vielerlei Hinsicht ein Junge. Er war in eine Welt gestoßen worden, für die er noch nicht bereit war, und musste sich einer unwiderruflichen Veränderung seines Lebens stellen. Ich kannte das Gefühl, und er tat mir schrecklich leid. »Lass mich dir helfen. Komm mit mir zurück, und dann können wir reden.«
Da schrillten bei ihm sämtliche Alarmglocken los. Der Wind nahm wieder zu, peitschte meine Haare. »Reden? Ich bin doch nicht dumm. Ich weiß, was das heißt. Ihr legt mich in Ketten und sperrt mich weg.«
»Hör auf damit«, fuhr ich ihn an. Fast ohne nachzudenken machte ich seiner Windmagie ein Ende. Er war vielleicht stark, aber die liebe Tante Eugenie war stärker. Er zuckte leicht zusammen, als er spürte, wie klein sich seine Magie neben meiner ausnahm. »Ich werde gewinnen, wenn wir kämpfen, und ich will nicht, dass es
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