Dark Swan: Schattenkind (German Edition)
verschwunden, wo er längst hingehört hatte. Die Schreie verklangen, und wir waren allein. Ich eilte zu Evan hinüber, der bereits wieder hochkam.
»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte er nervös.
Ich hätte fast gelacht. »Mit mir? Du bist es doch, der gerade von einem Geist herumgeschleudert worden ist. Schau dir deinen Arm an.« Eines der Stuhlbeine hatte den Arm in einem ungünstigen Winkel getroffen und eine üble Platzwunde hinterlassen. Sie sah nicht so aus, als ob sie genäht werden musste, aber hässlich war sie trotzdem.
»Mit geht’s gut.« Er stellte den Stuhl hin und begutachtete ihn rasch auf Schäden. Es gab keine, also drohte Evan auch kein Ärger mit Wanda. »Ich habe noch nie eine dermaßen schnelle Verbannung miterlebt. Ich glaube, das schafft nicht mal Tante Candy.«
»Es braucht nur Übung«, versicherte ich ihm, weil ich keine große Sache daraus machen wollte. Evan wusste, dass ich eine Schamanin war, aber ich hielt es für besser, wenn er über das Ausmaß meiner Fähigkeiten im Unklaren blieb. »Komm – wir sollten nach Hause fahren.« Ich bereute meine Aktion jetzt schon. In diesem Moment eben war es gar keine Frage gewesen; ich hatte Evan helfen müssen . Nur hatte ich dadurch auch meine Tarnung auffliegen lassen.
Das bestätigte später auch das ernste Gesicht, das Candace machte. »Wenigstens wird dieser Geist nur in der Unterwelt tratschen können«, sagte sie mit einem Seufzen. »Und wenn er an diese Plantage gebunden gewesen ist, dann hatte er wahrscheinlich auch keinen Kontakt zu den Leuten, die nach Ihnen suchen.«
»Das war auch meine Hoffnung«, sagte ich.
»Trotzdem. Sie hätten das nicht tun sollen, wenn auch nur, weil Sie und die Kleinen hätten verletzt werden können.« Sie sah zur Küche hinüber, wo ihr Mann Evan einen Verband anlegte. »Er hat noch viel zu lernen, aber er kommt mit mehr zurecht, als man ihm eigentlich zutraut.«
»Sie haben ja recht mit der Verbannung.« Ich fühlte mich schrecklich. Die Heimfahrt hatte mir jede Menge Zeit zum Nachdenken gegeben. Einer der Zwillinge wählte diesen Moment zum Treten – weil ich ansonsten ja vielleicht ignoriert hätte, dass ich sie gefährdet hatte. »Ich hab das einfach instinktiv gemacht. Evan war in Gefahr, also habe ich gehandelt.«
»Ich weiß.« Ihr Blick war fast mitfühlend, als sie mir eine Hand auf die Schulter legte. »Und ich weiß auch, dass das in Ihrem Wesen liegt – zumal, wenn Sie auch nur ansatzweise nach Roland kommen. Dieser Mann hat noch nie gewusst, wie man Ärger aus dem Weg geht. Aber ab jetzt müssen Sie das bleiben lassen. Der nächste Geist, den Sie bekämpfen, verrät den Leuten, die hinter Ihnen her sind, vielleicht, wo sie Sie finden können.«
Ich nickte widerspruchslos. Das Gespräch brach ab, als Charles und Evan herüberkamen. Evan blieb in der Wohnzimmertür stehen und zeigte zum Fernseher. »Das ist doch da, wo du herkommst, oder?«
Ich wandte mich um. In den Nachrichten kam gerade ein Bericht über den Überfall auf ein Lebensmittelgeschäft in Tucson. Die Aufnahmen der Überwachungskamera waren voller Flecken und Störungen, aber es waren ein paar bizarre Bilder von Packungen zu sehen, die anscheinend von allein aus den Regalen flogen. Die Augenzeugenberichte waren ebenso seltsam, und wenn ich nicht gewusst hätte, dass das absolut unmöglich war, hätte ich gedacht, dass das Geschäft von einem Gespenst heimgesucht worden war. Aber ein Gespenst kann mit Geld nichts anfangen – beziehungsweise mit Lebensmitteln in diesem Fall, denn die waren gestohlen worden.
»Schräg«, sagte ich, als der Bericht vorbei war. Wenn daran irgendwelche Wesen aus der Anderswelt beteiligt gewesen waren, dann würde sich Roland zweifelsohne darum kümmern. Bei diesem Gedanken kam ich mir gleich noch unfähiger vor. Eigentlich war Roland im Ruhestand, aber meine diversen Aktionen des letzten Jahres hatten ihn dazu gezwungen, wieder eine aktive Rolle als Schamane zu übernehmen.
»Absolut«, bemerkte Candace. »Nur gibt es praktisch keine Übereinstimmung mit den üblichen – «
Ihr blieb der Mund offen stehen, als ein tiefes Grollen das Haus erfüllte. Wir starrten uns alle vier verblüfft an. Wieder erklang ein Grollen, und im selben Moment wurde es draußen vor den Wohnzimmerfenstern gleißend hell. Über meine Sinne brach eine Flut von Eindrücken herein; Sekunden, bevor auch die anderen begriffen, was gerade passierte.
»Es regnet«, rief Evan. Er eilte zur Tür – und wir
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