Dark Swan: Schattenkind (German Edition)
Seite der Scheibe gewesen war, aber jetzt, in meinen Armen, da musste er doch bestimmt irgendeine Art unterbewusste Verbindung spüren … oder?
So viel ist deinetwegen schon passiert , dachte ich. Eine Welt wäre fast für dich in den Krieg gezogen, und ich musste mein Leben ändern, damit du sicher bleibst. Aber das war es wert gewesen, und ich wagte die Hoffnung, dass die Tragödie, die sich gerade in der Anderswelt abspielte, ihren Bewohnern vielleicht einen neuen Sinn für Solidarität einimpfte, der die Prophezeiung des Sturmkönigs wie eine bedeutungslose Fantasterei aus der Vergangenheit erscheinen ließ. Ich hatte keine Ahnung, ob ich meine Kinder je in die Anderswelt würde bringen wollen, aber ganz egal, wo sie waren, ich wollte, dass sie in Frieden leben konnten, ohne unter Krieg oder Prophezeiungen zu leiden.
Ivy war sogar wach, eine seltene Freude. Sie hatte dunkelblaue Augen, und man hatte mir gesagt, dass wir noch ein bisschen würden warten müssen, um zu sehen, welche ihre endgültige Augenfarbe war. Ich hoffte, sie würden violett sein wie meine und den Trend fortsetzen, dass die Zwillinge nicht Kiyo ähnelten.
Der Besuch war viel zu kurz. Ich wollte die Zwillinge endlos weiter mit Roland tauschen und mir jede kleine Einzelheit ihrer Gesichter einprägen. Aber sowohl die Frühchenstation als auch unsere Fluggesellschaft hatten feste Zeitpläne, die es einzuhalten galt, und so mussten wir Isaac und Ivy schließlich wieder zurück in ihre warmen, geschützten Behausungen geben. Ich hatte einen Kloß im Hals und war kaum aus der Säuglingsstation wieder draußen, als ich Evan in der Halle entdeckte, wo er geduldig an der Wand lehnte. Ich blieb stehen, und Roland räusperte sich.
»Ich hol den Wagen und warte vorn auf dich, okay?«, sagte er.
Ich nickte, als er ging, und schlenderte zu Evan hinüber. »Was machst du denn hier?«, fragte ich. »Aber schön, dich zu sehen.«
Evan richtete sich auf und schenkte mir sein freundliches Lächeln. »Ich wollte dich sehen. Tut mir leid, dass ich gestern Abend nicht kommen konnte – wir hatten einige späte Termine in Sachen Schulanfang, die ich nicht versäumen durfte. Darum wollte ich dich unbedingt noch erwischen, bevor du abreist.«
»Da bin ich aber froh«, sagte ich und konnte über meinen Gefühlswirrwarr nur staunen. Ich war immer noch ganz aufgedreht wegen meines Besuchs bei den Zwillingen, und jetzt Evan zu sehen, wühlte mich nur noch mehr auf. »Ich hätte es schrecklich gefunden, abzureisen, ohne Lebewohl zu sagen.«
»Na ja. Es ist ja kein Abschied für immer, oder? Du kommst doch wieder zurück.«
»Klar. Ich weiß bloß noch nicht, wann.«
»Na, du weißt ja, dass wir uns um alles kümmern werden, also brauchst du dir keine Sorgen zu machen.«
Ich lachte. »Du hörst dich genauso an wie deine Tante und dein Onkel. Candace erzählt mir das auch ständig.«
»Ich sag nur, wie es ist.« Er zuckte mit den Schultern. »Mir ist klar, dass du nicht ohne guten Grund wegfährst. Also kümmere dich um das, was du machen musst, und denk daran, dass wir hier alle für dich da sind – und für sie.« Er nickte in Richtung Frühchenstation.
»Ich weiß … und es tut mir leid … es tut mir leid, dass ich gehen muss … «
Evan streckte die Hand aus, legte die Finger unter mein Kinn und schob es sanft nach oben, sodass ich ihn ansehen musste. »Wofür entschuldigst du dich? Du hast doch nichts falsch gemacht.«
Konnte sein. In Wahrheit wusste ich selber nicht, warum ich mich entschuldigte. Aus einer Vielzahl von Gründen vermutlich. Ich fühlte mich schlecht dabei, Isaac und Ivy zurückzulassen. Ich fühlte mich schlecht dabei, Evan zu verlassen.
»Ich hab einfach das Gefühl, dass ich alle im Stich lasse.«
»Im Stich würdest du uns lassen, wenn du abreisen würdest, ohne Vorkehrungen für deine Kinder getroffen zu haben oder wenn du einfach nur aus einer Laune heraus abhauen würdest. Beides ist nicht der Fall.«
Mir kam wieder der abgedroschene Gedanke, wie einfach das Leben hier sein würde, bei ihm. Damit meinte ich nicht das einfache Leben aus den Hinterwäldlerwitzen, die ich gerissen hatte, bevor ich hierhergekommen war. Sondern das Leben bei dieser Familie, diesen Leuten mit ihrer bedingungslosen Liebe und ihrer Bereitschaft, jeden seine eigene Wahl treffen zu lassen. Das Leben ohne Politik und Intrigen.
Ich nahm Evans Hand und drückte sie. »Danke. Für alles. Ich weiß das wirklich zu schätzen.«
Er sah mich fragend an.
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