Dark Swan: Schattenkind (German Edition)
Zwillinge nicht mehr in unmittelbarer Gefahr waren und einfach bloß noch ihre Zeit im Brutkasten hinter sich bringen mussten, ich hatte ständig Angst, dass die Ärzte irgendwas übersehen hatten. Und obwohl ich keinerlei Zweifel an der liebevollen Fürsorge der Reeds hegte, malte ich mir trotzdem die schlimmsten Katastrophen aus. Schließlich hatte Candace einen gefährlichen Job. Wenn ihr nun etwas zustieß? Würde Charles sich dann allein um die Kinder kümmern können? Würden Evan und er zusammenziehen müssen, um die Zwillinge zu versorgen, wie in irgendeiner verrückten Sitcom?
Solche Vorstellungen sorgten dafür, dass ich meine Abreise ständig noch einen Tag hinauszögerte, bis Roland mich eines Nachmittags in Candaces Arbeitszimmer rief. Er hatte gerade auf ihrem Computer seine Mails gecheckt und winkte mich zu sich. »Schau dir das mal an«, sagte er und wechselte auf eine News-Webseite.
Ich beugte mich über seine Schulter, und mir wurde ganz anders. »Au verflucht«, schimpfte ich. Der Bericht handelte von einer Gruppe Randalierer, die einen Bauernmarkt in Phoenix überfallen und geplündert hatten – zu Pferd. Der Bericht und die Zeugenaussagen waren genauso lückenhaft wie neulich der Fernsehbericht über den Einbruchdiebstahl in Tucson, aber für mich stand fest, dass die Täter aus der Anderswelt kamen. Ein Bauernmarkt unter freiem Himmel war wahrscheinlich genau das Richtige für sie. Leichter Zugang, kein Schnickschnack, nur Nahrungsmittel. »Die sind doch bestimmt nicht von Tucson nach Phoenix geritten?«
»Unwahrscheinlich«, sagte Roland und lehnte sich mit einem Seufzen in dem Stuhl zurück. »Zumal sie sich laut Zeugenaussagen anscheinend in Luft aufgelöst haben. Ich gehe davon aus, dass sie ein neues Tor benutzen. In der Gegend kenne ich ein paar.«
Ich nickte und versuchte, meine geistigen Landkarten beider Welten übereinanderzulegen. »Im Weidenland gibt es eins, das nach Phoenix führt. Wenn die Feindseligkeiten wirklich beigelegt sind, dann lässt Maiwenn Pagiel es auch sicher benutzen.« Ich setzte mich im Schneidersitz auf den Boden und war einen Moment lang total stolz, wie schnell ich meine Beweglichkeit zurückgewonnen hatte. »Ich frage mich, ob wir froh sein sollten, dass Tucson nicht das einzige Ziel darstellt – oder besorgt, dass Pagiel seine Aktionen auf andere Tore und Städte ausdehnt.«
»Wir sollten besorgt sein, dass es immer noch zu diesen Überfällen kommt, und Punkt. Wenn du immer noch vorhast, wegzugehen, dann sollten wir langsam los.« Sein Tonfall war hart, geschäftsmäßig, aber in seinem Blick stand Mitgefühl.
»Ich habe es immer noch vor«, sagte ich traurig. »Alles ist bereit. Wenn du uns für morgen einen Flug buchen kannst, dann bin ich bis dahin reisefertig.« Das war nicht gelogen, aber es klang so endgültig, dass ich es kaum fassen konnte.
Roland buchte. Candace und Charles schickten uns mit einem riesigen Abschiedsessen, bestehend aus Hähnchen und Knödeln, davon, aber für dieses eine Mal ging es weniger ums Essen als vielmehr darum, das mit Isaac und Ivy in trockene Tücher zu bekommen. Am Morgen fuhren Roland und ich extra früh los, damit wir noch ein letztes Mal im Krankenhaus vorbeischauen konnten. Keine Ahnung, ob das Timing einfach Glück war oder ob das Personal Mitleid mit mir hatte, aber die Schwester verkündete, dass die Zwillinge inzwischen so weit waren, dass wir sie ruhig einmal halten konnten.
Ich konnte mein Glück kaum fassen. Die Beatmungsgeräte waren weg, aber es gab immer noch jede Menge Kabel und Schläuche, auf die es zu achten galt, was das Ganze zu einem heiklen Balanceakt machte. Roland und ich bekamen jeder einen Zwilling auf den Arm, und nach einer Weile tauschten wir. Als ich auf Isaac hinabschaute, stockte mir der Atem. Er war natürlich immer noch ein Frühchen, aber er hatte Gewicht zugelegt und sah viel mehr wie ein Baby aus als bei seiner Geburt. Jetzt, wo die beiden sich ein bisschen entwickelt hatten, stand für mich erst recht fest, dass sie nach mir und nicht nach Kiyo kamen. Und das war auch gut so, denn sie trugen meinen Nachnamen und würden nie irgendwelchen Kontakt zu ihm haben.
Isaac schlief die ganze Zeit, während ich ihn hielt, und machte die kleinen Bewegungen und Schmatzlaute, die Säuglinge im Schlaf so machen. Er wirkte sehr zufrieden, und ich fragte mich erneut, ob er meine Gegenwart irgendwie mitbekam. Vielleicht war es naiv gewesen, mir das auszumalen, als ich noch auf der anderen
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