Dark Swan: Schattenkind (German Edition)
»Für was alles? Dass ich dich mit zum Angeln genommen habe?«
»Ja, zum Beispiel. Und für die vielen kleinen Sachen, die du mit mir unternommen hast. Du ahnst ja gar nicht, wie viel mir das alles bedeutet hat – wie sehr ich es gebraucht habe.«
»Tja, also, puh«, sagte er und wurde richtig süß nervös. Ich glaube, er wurde sogar ein bisschen rot. »Ich hab mir nur Sorgen gemacht, dass du dich langweilen würdest, so den ganzen Tag allein im Haus. Wenn ich gewusst hätte, wie wichtig es dir ist, hätte ich dich einmal richtig ausgeführt.«
Ich lachte wieder und gab ihm einen raschen Kuss auf die Wange. »Das hast du doch, glaub mir. Unzählige Male.«
Er wurde noch röter. »Davon weiß ich nichts. Aber wenn du zurückkommst, na ja … vielleicht könnten wir dann … «
»Vielleicht.« Ich trat zurück. Selbst jetzt passte er immer noch auf, mich nicht zu sehr zu drängen. »Danke noch mal … und danke wegen, na ja, wegen ihnen.« Ich zeigte nach hinten zur Frühchenstation. »Ich weiß, dass du dich genauso um sie kümmern wirst wie deine Tante und dein Onkel.«
Evan lächelte. »Wenn es um die beiden geht, gibt es nichts zu danken.«
Unser Abschied machte es mir etwas leichter, die Zwillinge zurückzulassen, aber als Roland und ich unsere Heimreise antraten, gab es nun einige neue Gründe für mich, melancholisch und schwermütig zu sein.
Nach ein paarmal Umsteigen kamen wir schließlich am frühen Abend in Tucson an. Zum ersten Mal seit Langem gestattete ich mir, meine Aufmerksamkeit auf etwas zu richten, das nicht mit den Zwillingen zusammenhing. Tucson. Wie lange war ich nicht mehr hier gewesen? Selbst vor meiner Zeit in Huntsville hatte ich meiner Heimatstadt aus der Furcht vor Attentätern aus der Anderswelt fernbleiben müssen. Als ich nun auf die Sonora-Wüste schaute, die die Stadt umgab, gebadet in den Rot- und Orangetönen des Sonnenuntergangs, da stieg Freude in mir auf. Zu Hause. Tucson hatte vielleicht nicht den magischen Sog meiner Reiche, aber ich sehnte mich trotzdem danach.
Meine Mutter schrie auf vor Freude, als Roland und ich das Haus der beiden betraten. Sie kam angelaufen und umarmte mich fest. Ich glaubte, ein unterdrücktes Schluchzen zu hören, und hoffte, dass sie nicht anfing zu weinen, weil ich dann bestimmt auch angefangen hätte. Eine ganze Weile hielt sie mich nur fest, als ob sie Angst hatte, dass ich mich in Luft auflöste, sobald sie losließ. Als sie schließlich zurücktrat, musterte sie mich kurz und fragte: »Was ist passiert?« Ich hatte noch nicht ganz wieder meine alte Figur, aber es war ziemlich eindeutig, dass ich nicht mehr schwanger war.
»Du bist Großmutter geworden«, sagte ich, um die Sache abzukürzen.
Da meine Mom den Eindruck machte, gleich ohnmächtig zu werden, setzten wir uns alle an den Küchentisch, um zu rekapitulieren, was passiert war. Roland und ich hatten jede Menge Digitalfotos, die wir ihr zeigen konnten, und meine Mutter beugte sich mit einem Staunen im Gesicht, das sicher dem meinen entsprach, darüber. Sie befragte uns in aller Ausführlichkeit über den Gesundheitszustand der Zwillinge und die Qualität des Krankenhauses und legte dann mit Erkundungen über die Reeds los.
Zu ihrer eigenen Sicherheit sagte ich meiner Mutter nicht, wo die Reeds wohnten. Als ich das Ehepaar beschrieb, hatte ich einen Moment lang das befremdliche Gefühl, dass sich das Ganze anhörte wie eine Art Märchen aus der Wirklichkeit. Zwei Kinder, die versteckt bei einem kinderlosen Paar lebten, nur um später zu erfahren, dass sie die Abkömmlinge einer Feenkönigin waren.
Sobald sich meine Mutter davon überzeugt hatte, dass die Zwillinge anständig versorgt wurden, ging sie zu mütterlicheren Themen über. »Musstest du die Arme denn wirklich Ivy nennen? Das ist doch ein richtiger Hippie-Name.«
Ich verdrehte die Augen. »Es ist ein schöner Name. Und er klingt gut zusammen mit Isaac.«
Meine Mutter sah mich skeptisch an. »Na ja. Das würden Isabelle und Irene auch.«
Es stand außer Frage, dass ich bei ihnen übernachten würde, aber ich wusste, dass das wahrscheinlich die längste Zeit war, die ich in Tucson bleiben konnte. Wenn meine Mutter gekonnt hätte, hätte sie mich für immer dabehalten, aber Roland und ich wussten, dass ich meinen Wechsel in die Anderswelt nicht viel länger hinauszögern durfte. Ich brauchte nur noch Wintersachen. Als ich ihm sagte, dass ich am nächsten Tag meinen Daunenanorak von zu Hause holen wollte, schüttelte er
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