Dark Swan: Schattenkind (German Edition)
trotzdem meine Vorbehalte.
»Differenzen beilegen?«, rief ich. »Er hat versucht, mich zu töten! Warum vergessen das eigentlich ständig alle?«
»Niemand hat das vergessen«, sagte Dorian. In seinem Blick glitzerte Stahl, seinem trägen Tonfall zum Trotz. Es gab mir die Hoffnung, dass er nicht völlig den Verstand verloren hatte. »Wobei er im Grunde versucht hat, deine Kinder zu töten. Da sie nicht hier sind, kannst du dich in relativer Sicherheit wiegen.«
Nun sagte auch Kiyo etwas. »Du hast mein Wort, Eugenie. Ich werde auf dieser Reise nichts tun, um dir zu schaden. Ich will bloß, dass diese Plage ein Ende findet.«
Ich sah fassungslos zwischen den beiden Männern hin und her. »Dein Wort ist nichts wert.«
Rurik trat plötzlich neben mich, das Schwert in der Hand. »Mein Herr, der Eichenkönig, hat sich zweifelsohne von der Politik der Diplomatie verwirren lassen, Eure Majestät«, sagte er zu mir. »Gestattet mir, die Sache zu korrigieren, indem ich dieses erbärmliche Geschöpf aus der Welt schaffe, damit es Euch nicht länger lästig sein kann und wir wieder vorankommen. Eine Enthauptung dürfte die effizienteste Methode sein.«
Es waren die höflichsten Sätze, die ich von Rurik je gehört hatte. Es war auch das allererste Mal, dass er sich gegen seinen Herrn auf meine Seite stellte. Obwohl er schon vor langer Zeit in meine Dienste getreten war, hatte es immer so ausgesehen, als ob er sich mir zwar unterordnete, seine wahre Treue aber seinem einstigen König gehörte.
»Und wenn er’s nicht macht, mach ich’s!«, rief Jasmine.
Falls diese Drohungen Kiyo einschüchterten, so ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken. Er blieb, wo er war, das Gesicht ernst. Wir anderen spürten nun, da wir uns nicht mehr bewegten, die Kälte, aber Kiyos unerschütterliche Haltung besagte, dass er hier den ganzen Tag lang herumstehen konnte.
»Ihr seid Narren, allesamt«, schalt uns Dorian. »Und melodramatisch obendrein.« Das Ironische daran, dass Dorian anderen vorwarf, melodramatisch zu sein, entging mir nicht. »Varia steht – die angeschlossenen Lande einmal beiseitegelassen – für ein einziges Königreich. Wir sind viele. Gebt mir keinen Anlass, abgedroschene Plattitüden abzusondern, als da wären ›vereint gegen den Feind‹ und ›Bruderkriege führen in den Untergang‹. Klischees öden mich an, und wenn ich noch länger hier herumstehe, kühle ich aus.«
Kiyo sah mich unverwandt an. »Ich habe jeden Grund der Welt, euch dabei zu helfen, dieser Plage ein Ende zu machen, und keinen einzigen, euch in den Rücken zu fallen. Und nun gehe ich auf Erkundung.« Was das mit dem In-den-Rücken-fallen anging, war ich mir nicht so sicher, aber bevor ich weiter protestieren konnte, verwandelte sich Kiyo in einen kleinen Rotfuchs. Im nächsten Moment huschte er schon die Straße hinunter. Man konnte nicht sagen, dass der Schnee ihn verlangsamte.
»Das ist keine gute Idee«, warnte ich Dorian.
»Man könnte einwenden, dass unser ganzer Plan keine gute Idee ist«, erwiderte er.
Wir setzten uns wieder in Bewegung, aber die Unternehmungslust und die gute Stimmung waren dahin. Bis auf Dorian waren alle entweder verblüfft über diese Wendung oder stinksauer. Ich sah, wie Rurik zu meinen Wachen – Keeli und Danil – hinübertrottete und leise etwas zu ihnen sagte, das mit einem grimmigen Nicken quittiert wurde. Ich hatte den Eindruck, dass er ihnen entweder befohlen hatte, mich nicht aus den Augen zu lassen oder Kiyo, sobald sich die Gelegenheit ergab, irgendwohin zu locken, wo sie mit ihm allein waren, und ihn einen Kopf kürzer zu machen. Bei Rurik war es schwer zu sagen, welche Strategie ihm mehr zusagte.
»Volusian«, sagte ich. Er geisterte hier immer noch herum, seit ich ihn gerufen hatte. »Geh du auch vor – und schau, was Kiyo macht. Überzeuge dich davon, dass er wirklich allein ist und sich nicht mit Weidensoldaten trifft.« Volusian verschwand.
Das Wiedersehen mit Kiyo hatte mich total aufgewühlt. Ich konnte nicht fassen, dass ich mich gerade dazu hatte bringen lassen, ihn als Verbündeten zu akzeptieren. Und wie sollte ich ihm nicht übel nehmen, was ich seinetwegen hatte durchmachen müssen? Er hatte versucht, mich und meine Kinder zu töten. Maiwenn und er waren schuld daran, dass ich das letzte halbe Jahr praktisch auf der Flucht hatte verbringen müssen. Das waren Dinge, die ich ihm nicht vergeben würde. Ich wusste nicht einmal, ob ich sie »für das übergeordnete Wohl« vorübergehend
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