Dark Swan: Schattenkind (German Edition)
einem Ort waren, wo man ihnen helfen konnte, das Ganze durchzustehen«, sagte er. »Aber erzähl, wie geht es dir mit alldem?«
Ich unterdrückte ein Gähnen. »Ich bin nicht gerade scharf darauf, eine lange Reise durch Schnee und Eis zu unternehmen. Und genauso wenig finde ich es toll, dass wir nicht sicher wissen, wo wir hinmüssen, aber verglichen mit der Alternative ist das wohl – «
»Nein, nein«, unterbrach er mich und setzte sich auf, damit er mir in die Augen sehen konnte. »Ich meine nicht mit dieser dummen Eibenlandgeschichte. Sondern damit, von Ivy und Thundro getrennt zu sein. Wie kommst du damit zurecht? Es muss dir doch schwerfallen, nicht bei ihnen zu sein, wo sie beide noch so zart sind.«
Meine Antwort ließ lange auf sich warten. Von Roland abgesehen – der ja miterlebt hatte, wie schwer mir der Abschied von den Zwillingen gefallen war – hatte mich bis jetzt niemand großartig gefragt, wie es mir damit ging, dass ich sie hatte zurücklassen müssen. Alle hatten etwas über ihre Geburt hören wollen und dass sie sicher waren und man sich um sie kümmerte, aber meine Gefühle bei der ganzen Sache waren nie Thema gewesen. Ich war Eugenie, Königin von Vogelbeere und Dorne, die Tochter des Sturmkönigs. Von mir wurde erwartet, dass ich bereitwillig in dieses neue Abenteuer zog und meine Pflicht tat.
»Es ist schrecklich«, sagte ich schließlich und konnte ihm nicht in die Augen sehen. Ich hasste es, wenn er total ernst wurde. »Ich wollte nicht zurückkommen, nicht mal, als Roland mir erzählt hat, wie schlimm hier alles ist. Von ihren Bettchen wegzugehen, war wahrscheinlich das Schwierigste, was ich je gemacht habe. Aber mich anders zu entscheiden, hätte mir auch totale Schuldgefühle gemacht. Ich hasse mich dafür, dass ich sie zurückgelassen habe, und ich hätte mich dafür gehasst, euch alle im Stich zu lassen. Ich hab das Gefühl, zwischen den Welten zerrissen zu sein.«
Dorian schwang die Beine über die Bettseite. »So hast du dich schon gefühlt, als wir uns zum ersten Mal begegnet sind.«
Ich ließ mir das durch den Kopf gehen. »Da ist was dran.«
»Nun, sorge dich nicht. Ich werde dir helfen, das Problem mit dieser Plage zu lösen, damit du rasch zu ihnen zurückkehren kannst.« Er stand auf und nahm meine Hand. »Versprochen.« Seine Lippen streiften meinen Handrücken, dann ließ er wieder los. Ich starrte ihm verblüfft hinterher, als er zur Tür ging. Bevor er sie hinter sich schloss, warf er einen Blick zu mir zurück. »Ach, und falls es dich interessiert – ich bedaure, dass du unter diesen Umständen zurückkommen musstest, aber ich freue mich trotzdem, dich wiederzusehen.«
»Danke«, sagte ich dümmlich, ohne auch nur einen richtigen Satz bilden zu können. Ich wollte ihm gern hundert andere Dinge sagen, zum Beispiel, dass ich sein Mitgefühl zu schätzen wusste und auch, dass er versucht hatte, mir zu helfen, bevor ich aufgebrochen war. Ich wollte ihm sagen, wie schade es war, dass ich ihm nicht mehr vertraute … aber die Worte blieben mir im Hals stecken.
Er verließ mich, und ich war verblüfft. Keine Spötteleien, keine versteckten Anspielungen. Nur Ernsthaftigkeit und Aufrichtigkeit. Er hatte meinen Schmerz gesehen und mir seinen Trost angeboten. Ich glaubte nicht, dass es so leicht sein würde, diese »dumme Geschichte«, wie er es nannte, in Ordnung zu bringen, aber der dahinterstehende Gedanke bedeutete mir trotzdem viel. Das war nicht der Dorian, den ich vor zwei Monaten verlassen hatte.
Aber so sehr mich sein Verhalten auch berührte, ich konnte nicht länger darüber nachdenken. Wir hatten morgen viel vor, und ich war todmüde. Ich besaß noch genug Geistesgegenwart, um meine Oberbekleidung auszuziehen und erst dann unter die vielen Decken zu kriechen. Kurz bevor ich einschlief, glaubte ich noch den Duft von Äpfeln und Zimt zu erschnuppern, wo Dorian gelegen hatte.
Am nächsten Morgen war er wieder so zu Scherzen aufgelegt, wie man ihn kannte. Allerdings ohne jeden beißenden Sarkasmus, und ich merkte, dass er eigentlich nur alle mit seinen witzigen und geistreichen Bemerkungen aufmuntern wollte. Die anderen waren zwar angespannt, aber ich glaube, sie freuten sich auch auf unser Abenteuer. Sie waren zu lange untätig gewesen und heilfroh, endlich etwas unternehmen zu können, das das Problem vielleicht löste.
Außer Dorian, Jasmine, Pagiel und Rurik waren noch drei Wachen dabei, ein Mann und eine Frau aus meiner und ein Mann aus Dorians Truppe.
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