Dark Swan: Schattenkind (German Edition)
Dorf«, sagte Kiyo. Er zögerte, dann setzte er hinzu: »Vielleicht können wir dort unser Lager aufschlagen … «
»Von wegen vielleicht.« Rurik trieb sein Pferd zu einem leichten Trab an. »Besser verbringen wir die Nacht in irgendeiner noch so dürftigen Behausung als hier draußen im Freien.«
Kiyo runzelte die Stirn. »Ja, aber dieses Dorf … also, es ist in keiner guten Verfassung.«
Dorian begriff – im Gegensatz zu mir. »Glaubst du, sie sind verzweifelt genug, uns wegen unseres Proviants anzugreifen?«
»Das nicht.« Kiyo deutete auf die bewaffneten Soldaten. »Der Zustand dieser Leute ist zu schlecht, als dass sie mit ihnen fertig werden könnten, und ich glaube, das wissen sie auch. Ich wollte nur, dass ihr euch darüber im Klaren seid, in was wir da hineinspazieren.«
»Recht so«, sagte Dorian. »Nur haben wir kaum eine Wahl.«
Wir ritten weiter, und die innere Ruhe, die ich während Kiyos Abwesenheit hatte erreichen können, löste sich jetzt, wo er wieder bei uns war, in nichts auf. Ich glaube, das Einzige, was seine Anwesenheit für mich erträglich machte, war, dass er uns in seiner Fuchsgestalt begleitete, in der er ja besser vorankam.
Wir stießen tatsächlich nicht weit hinter der zweiten Grenze, also im Palmenland, wie Dorian bestätigte, auf ein Dorf. Es lag ein Stück von der Straße entfernt und sah aus wie eine Kulisse aus dem Musical South Pacific , mit leicht gedeckten Hütten, die sich mitten in dieser Winterlandschaft total absurd ausnahmen. Die Palmen, die dem Land seinen Namen gegeben hatten, waren unnatürlich groß, aber das hatte sie nicht vor dem Erfrieren retten können. Sie waren allesamt abgestorben, hatten sich nicht ans Leben klammern können wie die Bäume im Vogelbeerland. Einige Bewohner des Palmenlands kamen nach draußen, um sich unsere Ankunft anzuschauen; andere beobachteten uns aus der Sicherheit ihrer schneebedeckten Hütten heraus. Einen befremdlichen Moment lang hatte ich das Gefühl, in die Zeit kurz nach der Übernahme des Dornenlands zurückversetzt worden zu sein, als meine Dörfer unter einer Dürre gelitten hatten.
Manchen war es ziemlich dreckig gegangen, aber den Leuten hier ging es noch viel schlimmer. Im Dornen- und im Vogelbeerland wurden Lebensmittel derzeit rationiert, aber verglichen mit diesen Hungergestalten gab es in meinen Reichen noch jeden Tag ein Festessen. Auch nahm sich die zusammengestoppelte Winterkleidung meines Volkes gegen die armseligen Lumpen der Leute hier geradezu luxuriös aus. Die Kleidung bedeckte kaum ihre Leiber. Unbehagen erfüllte mich.
»Geht es meinen Dörfern auch so?«, fragte ich niemanden Bestimmtes. Seit meiner Rückkehr hatte ich nur mit Leuten gesprochen, die in meinen Burgen arbeiteten, aber nicht mit denen, die woanders lebten. In den Burgen ging es den Leuten immer ein bisschen besser als in den Dörfern und Städten.
»Nein, Eure Majestät«, sagte Danil, der Wachsoldat, und kam nach vorn an meine Seite. »Ich bin früher schon in diesem Reich gewesen – vor der Plage. Es blühte und gedieh. Das Wetter war so mild, dass überall die üppigsten Früchte wuchsen. Man konnte einfach vors Haus treten und sich seine Mahlzeit pflücken. Niemand musste etwas für den Winter oder den Handel beiseitelegen.«
»Und darum«, vermutete ich, »hatte auch niemand etwas, als die Plage kam.« Leicht war die Lage auch in meinen Reichen nicht gewesen, aber ein paar Dinge hatten die Katastrophe etwas abgefedert. Normalerweise musste das Dornenland einen Großteil seiner Nahrung importieren; entsprechend große Mengen waren eingelagert gewesen. Als dann ein Großteil der Ernten ausfiel, konnten diese Vorräte unter beiden Reichen verteilt werden. Ebenso hatte das wechselhaftere Klima des Vogelbeerlands zur Folge, dass dort laufend wärmere Kleidung und so weiter produziert wurde, die sich mit dem Dornenland teilen ließ, deren Einwohner normalerweise (wie die des Palmenlands) nur die allerleichteste Kleidung benötigten.
»Sie müssen schreckliche Angst vor uns haben«, sagte ich leise, als wir in der Dorfmitte angelangten. »Die meisten scheinen sich zu verstecken.«
Rurik warf mir kurz einen Blick zu, dann stieg er ab. »Die meisten dürften tot sein.«
Er ging los, um das Verhandeln zu übernehmen. Ich fragte mich, ob er diplomatietechnisch unsere beste Wahl war, aber von den anderen hatte niemand etwas dagegen. Ich bekam nur einen Teil des Gesprächs mit, aber jemand, der so aussah, als ob er etwas zu sagen
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