Dark Thrill - Zwei Romane in einem Band: Sommergeheimnisse/Idylle (German Edition)
Kirchbergens. Ein Makel auf einem Landschaftsgemälde.
Beinahe jeden Monat war Kellermann hier, um B eschwerden gegen die Lassnigs nachzugehen.
Auf dem Weg zur Haustür sah er sich um. Nur Dreck hielt diesen elenden Schuppen noch zusammen.
Kellermann klopfte am Holzrahmen des löchrigen Fliegengitters.
Kurz darauf öffnete Doris Lassnig die Tür. Sie stand in voller Pracht vor ihm. Jede Pore ihres Körpers, jede Falte, jedes noch so feine Härchen, jede Runzel auf ihrer Haut schrie förmlich Versager, du hast dein Leben verpfuscht!
Kellermann kannte sie nun schon eine kleine Ewigkeit, doch ihr Anblick erfüllte ihn immer aufs Neue mit einer Mischung aus Abscheu und Mitleid.
Fettige Haare, eine mit Blumen gemusterte, mit Flecken übersäte Schürze, ein Hängebusen für den die Schürze gerade lang genug war um zu verhindern, dass man nicht sah, was man auch nicht sehen wollte (zumindest erging es Kellermann so; ihren Mann schien ihr Aussehen nie abgestoßen zu haben; Ronny war der Beweis). Ihre Füße waren dreckig und mit Hühneraugen und Hornhaut übersät. Ja, Doris Lassnig war nicht gerade eine Traumfrau. So manchen, wie eben ihren Göttergatten, würde das vielleicht nicht abschrecken, doch die Whiskeyfahne, die sie wie Gewitterwolken umwehten, und ein merkwürdig tief aus ihren Eingeweiden triefender, fischiger Geruch, ließen meist auch die mutigsten Männer die weiße Fahne schwenken.
Kellermann rümpfte die Nase.
Hoffentlich fährt ihr jetzt kein Windstoß unter den Rock und bringt den Gestank ans Tageslicht, der darunter lauert, dachte er.
„Frau Lassnig, Sie haben angerufen.“
„Ja, Kellermann. Kommen Sie herein.“ Ihre Stimme war rau, die reinste Bonnie-Tyler-Imitation. Sie war vielleicht gerade mal fünfundvierzig, sah aber um zwanzig Jahre älter aus.
Kellermann folgte ihr ins Haus. Die Luft hier drinnen war noch um einiges stickiger und beißender als draußen. Er achtete behutsam wo er hintrat und war froh, dass er feste Stiefel anhatte. Ohne wäre eine Blutvergiftung mehr als wahrscheinlich gewesen.
„Nehmen Sie Platz. Wollen Sie etwas trinken? Tee, Bier, Wasser?“
Kellermann ließ seinen Blick durch die Küche schwe ifen. Er sah nur Berge von dreckigem Geschirr, vergammelte Essensreste um die sich Schmeißfliegen versammelten, und das vermeintlich saubere Geschirr war mit Staub überzogen. Ein El Dorado für jedes todbringende Bakterium dieser Welt.
Er schwitzte von der Hitze, hatte Durst, großen Durst sogar.
Aber zur Hölle damit. Lieber verdurste ich, als mir irgendwas einzufangen .
„Nein, danke. Nichts zu trinken“, sagte er und versuc hte seine Abscheu so gut es geht zu verbergen. „Also, was ist los?“
„Mein Sohn Ronny ist nach Hause gekommen heute Vormittag. Ganz verstört war der arme Junge.“
Ist er nicht eher gestört? Diese Frage schoss Kellermann sofort durch den Kopf. Er sprach es aber natürlich nicht laut aus. Auch wenn er es gerne getan hätte. Obwohl er ein gewisses Maß an Verständnis für die Eskapaden der Jugend, und so auch für Ronnys, aufbringen konnte, verlor er langsam die Geduld mit dem Jungen. Irgendwann war es schließlich genug.
„Wie meinen Sie das?“
„Er trägt doch die Zeitungen aus. Mit dem Fliegenschiss, den mir der Staat bezahlt, kommen wir sonst nicht über die Runden. Wir müssen schließlich essen.“ Ihre Stimme hatte einen anklagenden Ton. Kellermann hatte das Gefühl, dass sie ihn für ihre missliche Lage verantwortlich machen wollte. Aber das war wohl bloß Einbildung. Vermutlich traf jeden Schuld, außer sie selbst.
Klar, Essen, dachte er. Flüssige Nahrung. Und ich meine nicht Suppe. Unter Korn versteht sie was anderes.
„Ja und?“
„Jemand hat ihm sein Fahrrad kaputt geschlagen und wollte ihn verletzen.“
„Und hat dieser Jemand auch einen Namen?“
„Es ist der Neue, vom Gardener-Haus“, sagte eine Stimme plötzlich hinter ihm. Es war die von Ronny.
Kellermann hatte nicht gehört, dass er das Zimmer b etreten hatte. Er war zu sehr darauf konzentriert durch den Mund zu atmen.
„Warum hätte er das tun sollen?“ sagte Kellermann und wandte sich an Ronny.
„Sehen Sie sich doch mein Fahrrad an. Es war fast neu. Ich habe es mir selbst hergerichtet.“
Kellermann folgte Ronny, dessen roter Wuschelkopf bei jedem schritt wippte, nach draußen. Dem Himmel sei´s gedankt. Frische Luft.
Der Junge griff in das hohe Gras und im nächsten M oment kam ein verbeultes Fahrrad zum Vorschein. Als würde ein
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