Dark Thrill - Zwei Romane in einem Band: Sommergeheimnisse/Idylle (German Edition)
versagten den Dienst. Doch ihre Augen sprachen Bände: Danke.
Sallinger war wackelig auf den Beinen. Wie ein angeschlagener Boxer torkelte er den Pfad zum See entlang. Sein Kopf pochte wie verrückt. Wahrscheinlich hatte er eine Gehirnerschütterung, deren Auswirkungen er vermutlich erst am nächsten Tag mit voller Stärke auskosten dürfte.
Der See war nahe, er konnte ihn bereits sehen. Der ve rtraute fischige und algige Geruch stieg ihm in die Nase.
„Kevin!“ Es klang schwach. Die Bäume schienen ihre Äste nach dem Wort zu strecken und in alle Himmelric htungen zu zerstreuen.
Der Regen plätscherte nur noch leise vor sich hin.
„Kevin“, brüllte er erneut. Sallinger kam sich vor, als hätte er eine Zeitreise unternommen. In eine Zeit, die er längst vergessen glaubte. Erinnerungen schossen in ihm hoch.
Der See lag vor ihm.
Er suchte das Ufer nach dem Jungen ab. Watete durch das dunkle Wasser, griff hinein und schob abgebrochene Äste, die der Sturm hinterlassen hatte, zur Seite. Doch von dem Jungen war nirgends eine Spur zu sehen.
Plötzlich, wie aus dem Nichts, sah er eine Frau im Wasser stehen. Oder besser gesagt, darauf. Etwa drei Meter weit vom Ufer entfernt.
„Elly?“, sagte Sallinger ungläubig.
“Elly, bist du das?”
Die Frau sah tatsächlich aus wie seine verstorbene Ehefrau. Nicht so, wie sie in ihren letzten Tagen ausgesehen, sondern so wie er sie in Erinnerung behalten hatte. Gesund und voller Lebensfreude.
Das volle schwarze Haar umrahmte die gütigen Züge ihres Gesichts. Trotz des Regens war es trocken. Genauso wie ihre Kleidung.
Sie war es. Daran bestand kein Zweifel.
Die Welt um ihn herum schien völlig stillzustehen. Sa llinger schluchzte. Ihre Schönheit trieb ihm Tränen in die Augen.
Er wartete, dass sie zu ihm sprach. Doch sie blieb stumm.
Stattdessen blickte sie hinunter ins Wasser. Genau auf die Stelle an der sie zu schweben schien.
Sallinger watete durch das seichte Wasser auf sie zu. Er konnte es nicht erwarten seine geliebte Elly in die Arme zu schließen.
„Elly, mein Schatz. Ich komme.“
Doch umso näher er ihr kam, desto undeutlicher wurde sie. Ihre Gestalt waberte zunächst wie die Luft über heißem Asphalt, dann blieben bloß noch die Umrisse ihres Körpers bestehen und letztendlich löste sie sich spurlos in Luft auf. Als wäre sie niemals hier gewesen, nichts weiter als eine Erinnerung in seinem Kopf.
Sallinger stand jetzt einen halben Meter von der Stelle entfernt, wo sie geschwebt war. Ein kleiner Körper trieb auf dem Wasser, bedeckt von Blättern und kleinen Ästen.
„Kevin“, sagte Sallinger leise.
„Kevin, mein Junge.“ Mit aller Kraft, die der alte Mann aufbringen konnte, zog er Kevin aus dem Wasser. Er trug ihn ans Ufer und bettete ihn am harten Kies.
Der Junge atmete nicht.
Sallinger begann, genauso wie damals bei Mikey, mit Wiederbelebungsmaßnahmen.
Melanie kam mehr und mehr zu sich. Leben fuhr wieder in ihren Körper.
„Frau Ritter, hören Sie mich? Ich werde Hilfe holen gehen. Alles wird gut.“
Melanie sah über Kellermanns Schulter hinweg, riss die Augen auf wie ein Reh, das gerade einen Wolf gesehen hatte. Hätte sich ihre Kehle nicht immer noch wie zugeschnürt angefühlt, dann hätte sie laut aufgeschrieen.
So aber rappelte sich Oliver von Kellermann unb emerkt auf. Er baute sich hinter dem Ahnungslosen auf, ballte die Hand zur Faust und holte zum Schlag aus.
Melanie war kreidebleich.
Ein kleiner Junge in rotem Pyjama und eine Frau in einem weißen Sommerkleid zwängten sich zwischen Oliver und Adam Kellermann. Melanie konnte sich nicht erklären, woher die Frau und das Kind so plötzlich gekommen waren. Noch was sie hier eigentlich zu suchen hatten.
Oliver hielt inne. Seine Bewegung schienen eingefr oren zu sein. Ungläubig starrte er die beiden an. Seine Lippen formten zwei unhörbare Wörter. „Mikey? Annabelle?“
Die Beiden lächelten gütig. Und verschwanden.
Das Ganze hatte nur wenige Sekunden gedauert, aber Melanie genügte die kurze Zeitspanne.
Ohne zu wissen was sie eigentlich tat, schlossen sich ihre Finger um den Griff der Waffe, die immer noch am Wannenrand lag.
Kellermann hörte ein Geräusch hinter sich und fuhr herum.
Oliver ließ seine Faust niedersausen. Melanie zielte.
Die Faust kam näher, war nur noch Zentimeter von Kellermanns Kopf entfernt.
Sie drückte ab.
Der Hahn Schoss nach vorne, der Bolzen schlug auf die Patrone. Flammenzungen und eine Pulverwolke stoben aus dem Lauf.
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