Dark Thrill - Zwei Romane in einem Band: Sommergeheimnisse/Idylle (German Edition)
wirklich sehen, nur erahnen. Der aufziehende Herbst fordert seinen Tribut von der Natur.
Ich luge auf die digitale Uhr am Armaturenbrett. Die orange schimmernden Zahlen s agen mir, dass es nicht mehr lange dauern wird.
Ich lächle. In euphorischer Vorfreude.
Plötzlich fällt mir die Stille auf. Außer dem Dröhnen des Motors und meinen leisen Atemzügen ist in der Fahrerkabine nichts zu hören. Ich weiß nicht wieso, aber diese Beinahe-Ruhe macht mich nervös. Sie ist beunruhigend, nagt an mir wie ein Raubtier an seiner Beute.
Meine Rechte wandert zum Autoradio, dreht am Ein/Aus-Knopf. Etwas Musik sollte Abhilfe schaffen. Sekunden später kna llen die Gitarrenriffs zu When the lights go out von Bruce Springsteen aus den Boxen.
Wie passend, denke ich mit einem Augenzwinkern zu der mich umgebenden Dunke lheit.
Ich summe die Melodie mit, ich kann nicht anders. Es hat schon seinen Grund, warum ihn alle Welt den Boss nennt.
Mitten im Refrain bricht der Song ab, und der Nachrichte nsprecher meldet sich zu Wort. Ich kann gar nicht beschreiben, wie sehr ich es hasse, wenn Disc-Jockeys Klassiker auf diese Weise entehren.
» Eine Sondermeldung: In dem Café Zum Schwarzen Henkel in der niederösterreichischen Ortschaft Drösing, Nahe Wien, hat sich heute Nachmittag eine Tragödie ereignet. Eine Gruppe von fünf Personen, alles Mitarbeiter des ortsansässigen Chemiewerks, haben unter den Kaffeehausgästen ein Blutbad angerichtet... «
Ich betätige den Sendersuchlauf. Auf keinen Fall will ich hören, was da passiert ist. Ich will die Freude über den bevo rstehenden Abend nicht durch Hiobsbotschaften aus einer anderen Realität trüben.
Leider hat mein Verstand keinen solchen Knopf, und so ist es nicht verwunderlich, dass ich mir unfreiwillig Gedanken über den vermeldeten Vorfall mache.
Drösing, das ist die Nachbarortschaft. Ich habe einige Bekannte dort. Ob jemand von ihnen unter den Opfern ist? Oder den Tätern? Ein noch viel schlimmerer Gedanke. Ich hoffe nicht.
Was mag wohl die Ursache dafür sein? Fragen über Fr agen. Ich widerstehe dem Drang, wieder zu dem Sender zurückzuwechseln, muss ihn aber regelrecht niederkämpfen.
Wieder diese unheimliche Beinahe-Stille, das Radio durc hforstet immer noch das Frequenzband. Erfolglos. Die Lautlosigkeit bedrückt mich abermals.
In der Hoffnung, doch noch etwas nach meinem Musikg eschmack zu finden, beuge ich mich vor und betätige den manuellen Suchlauf. Ein Auge auf dem Display, das andere auf der Straße.
Schrecken durchzuckt mich. Vor der diffusen Wand des Scheinwerferkegels zeichnet sich ein Schemen ab. Etwas kriecht auf allen vieren in ungelenken, ruckartigen Bewegu ngen mitten auf der Straße.
Mit beiden Füßen stampfe ich auf das Bremspedal. Lautes Quietschen. Der Schemen rückt näher und näher. Ich reiße das Lenkrad nach links, bis zum Anschlag. Der Wagen schert aus und stellt sich quer zur Fahrbahn, schli ttert aber dennoch über den Asphalt auf das krabbelnde Etwas zu.
Ein dumpfes Kaaplatsch ertönt. Das tödliche Geräusch von auf Metall prallendem Fleisch. Den Kopf nach hinten wendend, sehe ich, wie ein Körper durch die Luft segelt und zwischen den Bäumen verschwindet.
Meine Karosse kommt zum Stillstand. Endlich. Aber leider viel zu spät.
Bitte, Lieber Gott, lass das keinen Menschen gewesen sein.
Ich stehe unter Schock, weiß plötzlich nicht mehr, ob ich atme. Ich ringe nach Luft, röchle aber nur, habe Angst zu e rsticken. Doch ich ersticke nicht.
Und dann übernimmt der reine Instinkt die Kontrolle über meinen Körper, das bewusste Denken setzt aus. Ich setze das Fahrzeug wieder parallel zur Straße und schalte die Warnblinkanlage ein. Dann steige ich aus und rufe laut. Keine Antwort. Ich mache zwei Schritte in Richtung Waldrand, wä hrend meine Finger über die Delle im Blech gleiten. Blut. Die Feuchtigkeit lässt mich die Hand zurückschnellen. Und zum ersten Mal heute bin ich froh über die Dunkelheit; sie verhindert, dass ich das dunkelrote Schimmern auf meinen Fingerspitzen sehe.
Abermaliges Rufen bleibt genauso fruchtlos. Also gehe ich zu der Stelle, wo ich den Körper vermute. Und verne hme ein kaum wahrnehmbares Stöhnen. Langsam, Schritt für Schritt, taste ich mich an die Geräuschquelle heran.
»Sind Sie verletzt?«, höre ich mich von weit entfernt fr agen.
Nur ein Knurren.
Ein Tier, ich habe bloß ein Tier niedergefahren. Ein Stein fällt mir vom Herzen. Doch ich brauche Gewissheit. Deshalb hocke ich mich hin, um nach
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