Dark Village 02 - Dreht euch nicht um
gewesen! Irgendwie kam plötzlich lauter Dreck hoch.
In Noras Kopf tauchte ein Bild auf, wie Benedicte und Vilde sich gegenseitig vollkotzten. Wie sie einander mit grüngelber, stinkender Kotze bespuckten, die an ihnen herablief. Sie ver suchte, das Bild abzuschütteln, und schloss die Augen.
Als sie sie wieder aufmachte, hatte Vilde auf dem Absatz kehrtgemacht und drängte sich durch einen Kreis von Zu schauern. Leute aus der Schule, die ebenso schockiert wirkten wie Nora.
Dass zwei der vier Freundinnen sich fetzten – dass sie sich an die Kehle gingen – in aller Öffentlichkeit! Wow.
Benedicte rempelte Nora an, lief aber einfach weiter, ohne an zuhalten oder irgendetwas zu sagen. In ihrem Gesicht loderte die Wut.
Nora fand, dass es seltsam hässlich aussah. Wie eine glatte, saubere, weiße Fläche, die plötzlich aufbrach und Risse bekam. Und darunter war das rohe Fleisch. Ihr lief ein Schauer über den Rücken.
Der Kreis der Leute löste sich auf. Sie verschwanden die Straße hinunter Richtung Schule.
Plötzlich stand Nora allein da. In ihren Ohren sauste ein Wind, den es nicht gab, und sie hatte Gänsehaut auf den Armen, obwohl sie in der Sonne stand und es angenehm warm war.
Das renkt sich nicht wieder ein , dachte sie. Das ist jetzt kaputt.
5
Sie hießen Bjørkstad und wohnten am Stor-Haugen.
Das Haus war alt und grün und an der Sonnenseite blätterte die Farbe ab.
Sigrid und Werner waren Mitte fünfzig. Sie war groß und dünn, mit grobknochigem Gesicht und einer so langen, krum men, schmalen Nase, dass sie damit an der WM im Säbelfech ten hätte teilnehmen können. Er war kleiner und untersetzt, mit einem kantigen Schädel, an dem die dünnen Haare klebten.
Sie sprachen beide nicht viel, aber es kam vor, dass Werner lachte. Sigrid tat das nie. Und dort, in dem alten Haus am Stor-Haugen, waren Nick und Eline Pflegekinder. Oder besser ge sagt, Nick war Pflegekind, Eline hatten die Bjørkstads inzwi schen adoptiert.
Die ganze Sache gab Nick das Gefühl, in einem Klischee zu leben. Er kam sich vor wie eine Figur in einem alten, dunklen, düsteren Film über hässliche Kinderheime und gewalttätige Pflegeeltern.
Sie hatten ihn aus finanziellen Gründen bei sich aufgenommen, davon war er überzeugt. Er wusste, dass die Stadt eine ordentliche Stange Geld für jedes Pflegekind bezahlte. Na und? Er konnte es ihnen nicht verdenken. Die Welt war voll von Leuten, die wenig Geld hatten und gerne mehr wollten. Die Welt war auch voll von Millionären, die immer noch mehr Geld wollten! Man konnte nicht jeden hassen, der scharf auf Geld war. Da würden nicht viele übrig bleiben, die man noch nett finden konnte.
Sigrid und Werner behandelten Eline gut. Zwar nicht warm und herzlich und Hallo, Liebes, wir sind deine neue Familie. Aber doch anständig, und sie akzeptierten Nick ohne Murren. Sie sagten nichts, wenn er draußen auf der Treppe rauchte, und sie störten ihn nie in seinem Zimmer. Sie ließen ihm Freiraum und brachten ihm so etwas wie Respekt entgegen.
Und trotzdem … Er spürte, dass irgendwas faul war. Er hatte es vom ersten Moment an gefühlt, als er das Haus betreten hatte, dass da etwas war, das er nicht zu fassen bekam. Etwas, das er nicht benennen konnte. Bis er Elines Zeichnungen gesehen hatte.
Nick saß am Küchentisch und frühstückte gemeinsam mit Eline. Er dachte an die Zeichnungen, die sie ihm vor zwei Tagen abends gezeigt hatte, die Zeichnungen, bei denen es klick in sei nem Kopf gemacht hatte. Jetzt wusste er, was hier nicht stimmte. Warum das Haus und die beiden alten Leute, die darin wohn ten, ihn schaudern ließen.
„Wir können zusammen gehen, oder?“ Eline flüsterte bei nahe. Sigrid stand ein paar Meter weiter an der Küchenanrichte. Nick hatte das Gefühl, dass sie aufmerksam die Ohren spitzte.
„Ja, sicher“, sagte er unnatürlich laut. „Klar.“
Die Grundschule lag neben der Hauptschule. In den letzten Tagen hatte Nick Eline hingebracht. Es war ein Fußweg von fünfzehn Minuten und sie hatte offenbar gern Gesellschaft.
„Wenn ihr nach Hause kommt …“, Sigrid drehte sich zu ihnen um und trocknete sich die Hände am Geschirrtuch ab, „… bin ich nicht da. Ich werde für ein paar Tage weg sein. Ich besuche meine Schwester in Trondheim.“
Schwester? , dachte Nick. Lieber Himmel, es gibt zwei von der Sorte? Er hätte beinahe gelacht. Rasch biss er von seinem Brot ab und kaute intensiv.
„Werner bleibt natürlich zu Hause“, fuhr Sigrid mit schnei dender,
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