Dark Village 02 - Dreht euch nicht um
starrte durch den Maschendraht auf die Straße. Ihr Magen zog sich zu einem großen, harten Klumpen zusammen. Ein Lied, das im Radio gelaufen war, kam ihr in den Sinn. Ein alter Song, den sie früher geliebt hatte und den sie ausgerechnet an diesem Morgen wieder gehört hatte. Jetzt wurde sie ihn nicht mehr los. Er klang ihr in den Ohren, im Kopf und im Körper, er wurde immer lau ter, ein traurig-munterer Soundtrack aus der Hölle:
Don’t leave me this way,
I can’t survive, I can’t stay alive
Without your love, no baby, Don’t leave me this way.
11
Große Pause.
Vilde aß zusammen mit Nora. Von Trine keine Spur. Bene dicte flirtete an einem anderen Tisch. Vilde suchte nach einem Ausweg. Sie wusste, dass es keine einfache Lösung gab, aber trotzdem überlegte sie. Was, wenn sie versprach, dass Trine ganz sicher mitkommen würde, wenn sie nur genug Zeit hätte, um den Schock zu verdauen? Immerhin waren sie ja auf fri scher Tat ertappt worden, einen Augenblick später, und ihre Hosen wären unten gewesen.
Nein, die Viksveen würde sich nicht darauf einlassen.
Das Problem war, dass sie in jedem Fall gewann: egal, ob sie hingingen und taten, was sie verlangte, oder ob sie es sein lie ßen. Denn dann hatte die Viksveen es in der Hand, sie zu outen und überall herumzuerzählen, was sie auf der kleinen Lichtung im Wald gesehen hatte. Oder zumindest Gerüchte zu streuen: hier ein Wort, dort eine Andeutung. Und bald würden die Leute anfangen, sich Gedanken zu machen – und Trine würde umfallen. Trine war jetzt schon so fertig und mit den Nerven am Ende, dass sie kurz davorstand zusammenzubrechen. Eine andere Erklärung konnte es für ihr merkwürdiges Verhalten nicht geben.
Ja, Synnøve Viksveen würde so oder so gewinnen …
Vilde warf einen Blick auf die Uhr. Noch fünf Minuten. Aber sie konnte nicht länger warten. Sie stand auf. „Muss was erle digen.“ Sie ging, ohne auf eine Reaktion von Nora zu warten.
Eilig verließ sie die Kantine. Die Flure wirkten kalt und selt sam fremd wie in einem Krankenhaus. Überall waren Leute und es war laut, aber Vilde hatte trotzdem das bedrückende Gefühl, allein zu sein.
Sie war zu früh dran und die Zeit kroch dahin. Sie musste auf halbem Weg stehen bleiben und warten. Komisch, dass sie nichts merken , dachte sie und beobachtete ihre Schulkameraden, die kamen und gingen. Dass sie es nicht sehen! Es war unglaub lich, dass niemand fragte: Was ist los mit dir, brauchst du Hilfe? So intensiv, wie sie Unbehagen und Angst empfand, so stark, wie das Gefühl von Einsamkeit war, und so schwer, wie ihr jede Bewegung fiel.
Aber keiner reagierte, keiner kümmerte sich um sie.
Und plötzlich waren die überzähligen Minuten um. Sie musste los.
Ihre Glieder protestierten. Es knirschte in ihrem Körper. Sie fühlte sich alt und müde. Am liebsten wäre sie weggelaufen, am liebsten hätte sie vergessen, was im Wald mit Trine passiert war und dass die Viksveen sie entdeckt hatte. Laufen, laufen und nie wieder zurückkommen! Aber Trine war schon auf und davon, Trine hatte sich abgesetzt. Und alles blieb an ihr hängen.
Sie war die Einzige, die verhindern konnte, dass die Wahrheit ans Licht kam. Über Trine und Vilde und die Liebe, dort auf der Lichtung im Wald …
12
Trine sah Vilde aus der Kantine gehen. Sie stand zusammen mit Trym und Tommy und noch ein paar anderen aus der Klasse am Eingang der Cafeteria. Vilde verschwand im Flur direkt ge genüber. Um sich mit Synnøve Viksveen zu treffen.
„… feiern?“ Trym sah Trine an.
„Hm?“ Trine folgte Vilde mit dem Blick, dann drehte sie sich zu Trym um.
„Wer?“
„Ihr“, sagte Trym. „Kommt ihr morgen mit feiern?“
„Wir? Nora und Benedicte und Vilde? Und ich?“
„Ja.“ Er schaute sie irritiert an, als würde er die Frage nicht verstehen.
Und wie sollte er auch. Wir waren immer zu viert gewesen – viele, viele Jahre lang, seit dem Kindergarten! Natürlich hatte er sie alle vier gemeint.
„Weiß nicht“, sagte sie. „Hab noch nicht mit den anderen ge sprochen.“
„Mhm.“ Trym nickte und betrachtete seine Schuhspitzen.
Trine seufzte innerlich. War ja auch egal! „Aber ich komme“, sagte sie. „Auf die Party.“
„Aha“, sagte Trym.
Trine musterte ihn. Freute er sich? Fand er es gut, dass sie zu gesagt hatte? Er strahlte nicht gerade wie ein Weihnachtsbaum, aber direkt deprimiert schien er auch nicht zu sein.
Sie betrachtete ihn genauer. Er sah nicht schlecht aus, oder? Mittelgroß, blond,
Weitere Kostenlose Bücher