Dark Village - Niemand ist ohne Schuld
nach den passenden Worten. „Warten Sie erst mal ab, Werner, bevor sie weiter an Tests denken. Es ist nicht gut für Eline, wenn um sie herum so viel Stress und Unruhe herrschen. Und es hilft ihr auf keinen Fall, wenn Sie sie die ganze Zeit schief ansehen, weil Sie befürchten, sie könnte nicht ganz normal sein. Geben Sie ihr einfach ein bisschen Zeit, dann werden Sie feststellen, dass sich alles beruhigt.“
Er öffnete die Autotür, stieg ein, ohne auf Wiedersehen zu sagen, und fuhr schnell mit einem kurzen Winken über die rechte Schulter davon.
10
Benedicte blieb in ihrem Zimmer, nachdem Vilde und Nora gegangen waren. Sie machte das Fenster auf, um zu lüft en. Im Aschenbecher lag noch eine halb gerauchte Zigarette von Vilde. Sie nahm sie heraus und zündete sie an.
Vorsichtig inhalierte sie. Vilde rauchte Prince, die waren eine ganze Ecke stärker, als Benedicte es gewöhnt war. Sie stellte sich ans Fenster und blies den Rauch nach draußen.
Sie dachte an Vilde. Ihr Ärger und ihr anklagender Blick waren gut nachzuvollziehen.
Natürlich hätte ich früher Bescheid sagen sollen. Natürlich hätte ich Wolfman eine Falle stellen sollen. Natürlich hätte ich etwas unternehmen müssen!
Sie hatte auch immer wieder darüber nachgegrübelt, wie sie etwas gegen ihn in die Hand bekommen konnte – schließlich hatte er ja die Fast-Nackt-Fotos von ihr. Das hatte sie sich schon ganz am Anfang vorgenommen, als sie einem Treff en mit ihm zugestimmt hatte. Sie wollte ihn austricksen, damit sie ihn drankriegen konnte, falls er die Fotos, die sie ihm geschickt hatte, gegen sie verwendete. Und dann konnte sie der ganzen Welt beweisen, dass er was mit einer Fünfzehnjährigen angefangen und sie erpresst hatte.
Aber daraus war nichts geworden. Sie war von ihrem Plan abgekommen. Er war smart und draufgängerisch – gefährlich anders als die Jungs, mit denen sie sonst zu tun hatte.
Und er hatte die Pillen. Unmengen davon. Sie brauchte nicht mal danach zu fragen oder darum zu betteln. Er packte sie aus und sie durfte sich bedienen. Deshalb war nichts aus dem Plan geworden, Fotos oder Tonaufnahmen zu machen …
Scheiße.
Benedicte drückte die Zigarette im Aschenbecher aus. Sie blieb am Fenster stehen und schaute nach draußen. Man konnte das Dach von Vildes Haus sehen. Sie fragte sich, ob Vilde ihr jemals verzeihen würde, und kam zu dem Schluss, dass die Chancen dafür nicht besonders gut standen.
Sie hat Trine geliebt, dachte Benedicte. Sie hatte schon lange vermutet, dass zwischen Trine und Vilde was Besonderes, Anderes war, und jetzt wusste sie es sicher. Sie waren keine Freundinnen gewesen wie sie und Nora oder Nora und Vilde. Zwischen ihnen hatte es eine besondere Verbindung gegeben. Sie waren ineinander verliebt gewesen …
11
Werner stand auf der Treppe und sah Doktor Wolff hinterher. Der Arzt gab Gas und verschwand in einer Staubwolke die Schotterstraße hinunter.
Sigrid kam heraus. Sie hatte am Küchenfenster gestanden und das Gespräch mitangehört. „Hast du etwas anderes erwartet?“, fragte sie. „Von diesem Hallodri?“
„Nein“, sagte Werner. „Wahrscheinlich nicht.“
„In einem Moment heißt es: Ja, das können wir testen. Und im nächsten: Entspannen Sie sich.“ Sigrid verschränkte die langen, dünnen Finger vor der Brust. „Kurpfuscher.“
„Ja, ja“, seufzte Werner.
„Wir wissen, dass sie speziell ist“, sagte Sigrid. „Wir wissen, dass sie nicht so ist wie andere Kinder.“
„Ja, ja“, wiederholte Werner.
Dann gingen sie ins Haus, setzten sich in die Küche und tranken in aller Stille Kaffee. Erst später am Abend kam Werner der Gedanke, dass sie die Sache vielleicht falsch angegangen waren. Vielleicht waren Ärzte und Untersuchungen und Krankenhäuser gar nicht die Lösung für Elines Andersartigkeit.
Er teilte Sigrid seine Überlegungen mit.
Sie sah ihn an. „Jetzt komm bloß nicht auf komische Ideen.“
„Ich meine es ernst“, sagte er. „Vielleicht ist ja gar nichts verkehrt mit ihr, möglicherweise ist das einfach ihre Wesensart. Vielleicht ist es genetisch, irgendwas, das sie geerbt hat.“
„Geerbt?“ Mit einem Mal begriff Sigrid, worauf er hinauswollte. Sie erstarrte auf ihrem Stuhl.
„Ja, weißt du, irgendwas, was in der Familie liegt.“
„Werner, fang nicht …“
„Aber“, unterbrach Werner sie. „Es ist an der Zeit.“
„Wir haben es versprochen“, sagte Sigrid. „Das können wir nicht tun. Wir haben es versprochen!“
„Damals wussten
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