Dark Village - Niemand ist ohne Schuld
wir ja auch noch nichts davon! Es geht doch darum, das Beste für Eline zu tun. Und jetzt …“ Werner schluckte, sodass sein Adamsapfel hüpfte. „Ja, jetzt ist eben der Zeitpunkt gekommen, sich mit ihrer Mutter zu unterhalten.“
12
Auf dem Heimweg grübelte Nora darüber nach, wie sich alles verändert hatte. Sie dachte eigentlich ununterbrochen darüber nach, ohne dass sie dabei irgendwie schlauer wurde.
Vor vier oder fünf Wochen hatte sie und Vilde und Benedicte und Trine noch eine unzerstörbare Freundschaft verbunden. Keine von ihnen hätte es jemals für möglich gehalten, dass sie in die Brüche gehen könnte. Sie war eine Selbstverständlichkeit gewesen – ein Fundament ihres Lebens.
Jetzt war Trine nicht mehr da und Benedicte und Vilde waren weiter weg als je zuvor. Vilde war wütend und frustriert und Benedicte wirkte rastlos und verwirrt. Egal, was ich tue, es ist ja doch verkehrt.
Und Nick! Er hatte sie angelogen. Oder zumindest hatte er ihr nicht die ganze Wahrheit gesagt – von der DVD und der Erpressung war nie die Rede gewesen. Warum hatte er nichts davon gesagt? War da noch mehr, was er ihr verheimlichte?
Und waren die anderen Sachen, die er gesagt hatte, vielleicht auch gar nicht wahr? Wie zum Beispiel „Ich liebe dich“?
Nein! Nora stieg die Treppe zur Haustür hinauf. Ich muss aufhören, so total negativ zu denken. Wahrscheinlich gibt es für die Sache mit Nick eine gute Erklärung und vielleicht können Vilde und Benedicte und ich alles in Ordnung bringen. Ich muss daran glauben, ich muss mich trauen, daran zu glauben, dass es klappt, sonst ist sowieso alles sinnlos.
Sie ging geradewegs in ihr Zimmer, schaltete die Musik an und ließ sich in den Sessel neben dem Bett fallen. Sie schlug ein Bein unter und starrte mit leerem Blick an die Wand, während Shakira This house is full of emptiness sang.
Nora rutschte auf der Sitzfläche nach vorn und legte die Füße aufs Bett. Sie wusste, was Vilde jetzt gesagt hätte: Du machst aus allem ein Problem, Nora. Vielleicht war es ja so einfach. Möglicherweise machte sie sich zu viele Gedanken und schaffte es nicht, über den eigenen Tellerrand zu gucken.
Aber Trine war tot. Das war die Realität! Es war schrecklich viel Mist passiert. Sie konnte doch nicht durch die Gegend laufen und so tun, als wäre nichts?!
Nora kam sich vor wie ein Kind. Sie saß in ihrem alten gemütlichen Sessel in ihrem warmen, vertrauten Zimmer – und fühlte sich total verloren. Wie schön wäre es, wenn jetzt jemand käme, der sie bei der Hand nähme, zu dem sie aufblicken und sagen könnte: Ich gehe mit dir, wohin du willst. Du entscheidest.
Aber es kam niemand. Und das, wonach sie suchte, was sie infrage stellte, war ohnehin so einfach und grundlegend, dass es möglicherweise zu viel von ihr verriet. Die meisten ihrer Gedanken waren ihr total peinlich: Wie lange musste sie ihre Trauer zur Schau tragen? Wann war es wieder erlaubt, fröhlich zu sein, mit den anderen zu lachen, in der Pause auf dem Schulhof, ohne dass alle das völlig unpassend fanden?
Und Nick! War es in Ordnung, dass sie an ihn dachte und dabei so wahnsinnige Lust verspürte? Auch wenn er ihr nicht die Wahrheit sagte? War es eigentlich richtig, dass das einzige Gefühl, das sie morgens beim Aufwachen hatte, das Verlangen war, jetzt bald endlich mit ihm zu schlafen?
Sie fand es abstoßend, dass sie im Innern so simpel und egoistisch war.
Um mich rum bricht die Welt zusammen. Trine lebt nicht mehr. Vilde und Benedicte haben sich verändert. Und das Einzige, was ich mit Sicherheit weiß, ist, dass ich auf einen Jungen scharf bin, der mich vermutlich belogen hat. Geht’s noch dümmer?
Die Vernehmungen
One day baby, we’ll be old,
Oh baby we’ll be old,
Think of all the stories that we could have told
One day, Reckoning song , Asaf Avidan & The Mojos
1
Es war Donnerstag. Vilde, Nora und Benedicte waren ins Polizeipräsidium vorgeladen worden. Man hatte gewartet, bis die Schule aus war, damit nicht noch mehr Gerüchte aufkamen, als ohnehin schon die Runde machten. Die Freundinnen wurden abgeholt und auf die Wache gebracht, wo man sie getrennt voneinander vernahm.
Kruse, der jüngste Beamte der Kripo, hatte sie beim ersten Mal befragt, zwei Tage, nachdem Trine gefunden worden war.
Diesmal war es der Ermittlungsleiter höchstpersönlich. Kruse saß als stiller Zuhörer dabei.
Du hast Trine zum letzten Mal in der Schule gesehen, stimmt das?
Vilde: „Ja, wir hatten nur drei
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