Dark Village - Niemand ist ohne Schuld
Polizei anrief und mitteilte, dass Benedicte auf dem Revier war, und an dem seine Tochter schließlich selbst berichtete, dass man Trines Mörder gefasst hatte.
„Was?“, fragte Lucas.
„Ja. Wenn ich es doch sage.“ Benedicte seufzte. „Es war Wolff. Der Arzt.“
„Woher weißt du das?“, fragte ihr Vater.
„Was ist denn eigentlich passiert?“, fragte ihre Mutter.
„Wolff?!“, rief ihr Vater aus.
Und Benedicte erzählte ihnen fast alles. Die schockierten Gesichter ihrer Eltern waren ihr egal. Nur ein paar Details behielt sie für sich: wie und wann sie mit Wolff in Kontakt getreten war – die Nacktfotos im Internet – und dass sie sich fröhlich von ihm mit Pillen hatte versorgen lassen.
Den Rest der Geschichte, dass sie sich regelmäßig getroffen und Sex miteinander gehabt hatten, servierte sie ihnen brühwarm.
Auch von Wolffs Drohung, sich eine ihrer Freundinnen zu holen, wenn sie nicht spurte, berichtete sie, und natürlich sparte sie nicht aus, was passiert war, als sie ihn dazu brachten, vor versteckter Kamera zu gestehen.
Immer wieder hatte ihre Mutter mit panischen Zwischenrufen ihren Bericht unterbrochen und die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen.
Lucas schwieg. Die meiste Zeit stand er mit vor der Brust verschränkten Armen von ihr abgewandt und starrte aus dem Fenster in die Dunkelheit.
Benedicte konnte seine angespannten Nackenmuskeln sehen. Und als sie ihre Geschichte beendet hatte, drehte er sich herum und sagte: „Wolff also. Ja?“
„Ja.“
„ Wolff .“ Bedächtig setzte er die Faust auf die Platte des kleinen Blumentischchens neben dem Fenster. Er drückte so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten.
Er umarmte Benedicte nicht, wie sonst so oft . Er wirkte abwesend und kühl und ohne ihn geriet das Gespräch sofort ins Stocken.
Ihre Mutter fiel in einen Sessel. Sie rang die Hände, vergrub ihr Gesicht, als säße sie im Kino und hielte sich die Augen zu, um die schlimmste Szene eines Horrorfilms nicht ansehen zu müssen. Ihr Vater schwieg.
Benedicte sagte, sie sei müde. Sie wollte ins Bett.
Ihr Vater nickte. Benedicte ging nach oben, ohne dass ihr Vater ihr nachsah und ihr eine Gute Nacht wünschte. Und dann, später am Abend, begann er, sorgfältig alles zu vernichten, was darauf hindeuten konnte, dass Wolff und ihn mehr verband als ein normales berufliches Verhältnis. Der Vertreter eines Pharmaunternehmens und Wolff, der Arzt. Sonst nichts. Nicht Tablettendepot und Multiplikator.
Nicht Dealer und Junkie.
Nicht …
Verdammte Scheiße! Er bebte vor Wut. Er blätterte durch die alten Fotoalben auf der Suche nach dem einen Bild, das dort irgendwo sein musste. Wolff und er in Feierlaune auf einem Seminar vor drei oder vier Jahren. Mit Flaschen auf dem Tisch prosteten sie der Kamera zu.
Sie hatten nicht viele Alben. Lucas fand das Foto schnell. Er zog es aus der Plastikhülle und starrte Wolffs gerötetes Gesicht und den leicht geöffneten Mund an. Seine Pupillen … Mann, was für ein Idiot. Jeder mit ein bisschen Erfahrung in dem Bereich – ein Polizist beispielsweise – konnte sofort erkennen, dass Wolff high war.
Der Pharmareferent mit einem gedopten Arzt … Da waren unbequeme Fragen quasi vorprogrammiert. Lucas zerknüllte das Foto.
Dieser Blödmann! Dieser Oberidiot. Wie konnte er nur so dumm sein und sich an Benedicte ranmachen !
Er raste vor Zorn. Die Vorstellung, dass seine Tochter mit einem erwachsenen Mann Sex hatte, fand er so abstoßend, dass es ihn körperlich schmerzte. Niemanden auf der Welt liebte Lucas mehr als Benedicte, und er hätte alles getan, um sie von Männern wie Wolff fernzuhalten.
Zum anderen war da das Risiko! Unfassbar. So kurz nach Trines Tod!
Lucas konnte es einfach nicht begreifen. Er selbst war unglaublich penibel, wenn es um Details und Sicherheit ging. Verdammt – er wäre wirklich nie im Traum darauf gekommen, dass Wolff so etwas tun könnte. Wenn das ganze Dorf vor Polizei wimmelte! Wie dumm musste man sein? Das grenzte ja schon ans Debile!
Lucas steckte ein anderes Foto ins Album, dann verbrannte er das Bild von sich und Wolff im Waschbecken. Schließlich setzte er sich an den Küchentisch und schrieb eine Liste von Dingen, die er zur Sicherheit überprüfen musste.
Wenn Wolff im Verhör sang, durfte keinesfalls auch nur die Spur eines Beweises existieren, die seine Aussage belegte.
Dienstag/Vilde
Hush little baby, don’t you cry
You know your mama was born to die
All my trials, Lord, will soon be
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