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Dark Village - Niemand ist ohne Schuld

Dark Village - Niemand ist ohne Schuld

Titel: Dark Village - Niemand ist ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjetil Johnsen
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    All My Trials , altes amerikanisches Wiegenlied

1
    Es klingelte, als sie durchs Tor kamen.
    Nora guckte Nick an und lachte. „Gerade noch rechtzeitig!“
    „Mmm“, sagte Nick.
    Benedicte wandte den Blick ab und schnitt eine Grimasse.
    Vilde sah es und grinste, sagte aber nichts. Sie waren ihr alle egal – Benedicte genauso wie Nora und Nick.
    Sie war zwar in der großen Pause mit ihnen losgezogen, aber hauptsächlich, weil es einfacher war, Ja zu sagen und mit dem Strom zu schwimmen, als Nein zu sagen und sich die Blicke und Bemerkungen reinzuziehen, die dann garantiert gekommen wären. Sie ging zusammen mit Benedicte die Treppe hoch. Nora und Nick blieben draußen stehen. Durch den Stoff des alten Collegepullis kratzte sich Vilde am Unterarm. Es juckte höllisch. Die Wunden verheilten langsam und der langärmelige Pulli war ein bisschen zu warm.
    Außerdem dachte sie die ganze Zeit daran, dass sie so etwas Krankes getan hatte! Was hatte sie sich dabei bloß gedacht? Wie hatte sie glauben können, es würde alles besser machen?
    Nicht alles, korrigierte sie sich, nur den Schmerz. Und nicht für immer, aber für eine Weile. Eine Weile hatte ich die Kontrolle. Da habe ich bestimmt .
    Sie gingen den Flur entlang Richtung Klassenraum und Vilde fühlte sich kalt und fremd. Sie war diesen Weg schon so oft gegangen und sie kannte Benedicte ihr ganzes Leben, aber in diesem Moment hätte sie genauso gut eine Straße mit hohen glatten Häuserfassaden in einem fremden Land entlanggehen können. Umgeben von einer fremden Sprache und fremden Menschen.
    Sie betraten die Klasse. Aus dem Augenwinkel sah Vilde, dass Benedicte im Stillen den Kopf schüttelte. Vilde bemerkte es, ohne weiter darüber nachzudenken. Nur irgendwo im Hinterkopf regte sich ein kleines: „Was ist?“
    Der Lehrer kam unmittelbar nach ihnen. Er sagte etwas, doch seine Worte erreichten Vilde nicht. Die anderen holten ihre Bücher raus und knallten sie auf die Tische.
    Vilde setzte sich. Der Stuhl war hart, sie spürte den Druck am Rücken. Holz auf Knochen. Der Junge hinter ihr hustete und ein Spuckeregen flog an ihr vorbei. Irgendwo flüsterten zwei Mädchen mit aufgeregten Stimmchen. Der Lehrer schrieb etwas an die Tafel. Er trug eine Cordhose, die am Gesäß schon ganz durchgescheuert war.
    Vilde beugte sich vor und legte sich auf ihr Pult, die Arme über Kopf und Nacken. So geht das nicht , dachte sie. So konnte sie nicht leben, nicht einen einzigen Tag länger.
    Nach der Schule verabschiedete sie sich eilig von Nora und Benedicte. „Ich muss noch in die Stadt“, sagte sie und war schon auf dem Weg in die andere Richtung.
    „Okay, tschüss!“, rief Benedicte.
    Niemand fragte, was sie vorhatte, und Vilde war erleichtert. Dabei hätte sie es ruhig erzählen können. Sie wollte sich mit Charlene bei Burger King treffen. Sie hatten sich auf einen Milkshake verabredet. Charlene liebte Milkshakes – und Hamburger und Pommes auch, wenn man ehrlich war.
    Erst hatte Charlene vorgeschlagen, Vildes kleinen Bruder mitzunehmen, aber Vilde hatte sie überredet, Yngve für ein paar Stunden allein zu Hause zu lassen.
    „Nur wir beide“, hatte Vilde beharrlich gefordert. „Können wir nicht ein bisschen reden?“
    „Well, of course, sure.“ Charlene hatte sie besorgt angesehen. „But really, you should talk to somebody. You know, somebody who can help you, ’cause I don’t know anything …“
    „Please“, hatte Vilde gesagt, „ich will keine Hilfe von irgendjemandem. Du darfst es nicht weitersagen. Ich brauche keine Hilfe.“
    „But you have to promise … You won’t do it again, ever.“
    „Kann ich nicht mit dir reden? Nur wir beide?“
    „Sure“, hatte Charlene gesagt. „Of course.“
    Und jetzt saßen sie an einem Vierertisch bei Burger King und sahen sich an. Vilde hatte nur einen kleinen Milkshake gekauft, sie hatte keinen Hunger oder Durst. Charlene hatte sich anfangs auch nur einen Milkshake bestellt, aber dann hatte sie es sich anders überlegt und noch einen riesenhaften Burger dazugenommen. Zwischen den einzelnen Bissen stöhnte sie: „I tell you … Wilde. This is … you know, really … this is … the taste of America.“
    Vilde lachte. Zurzeit war Charlene der einzige Mensch auf der Welt, in dessen Gegenwart sie sich ein winziges bisschen besser fühlte. Über sie und mit ihr konnte sie sogar lachen – ohne dass es vorgetäuscht war.
    Mit jeder Minute, die verstrich, wurden Vildes Blicke intensiver. Manchmal kamen sich

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