Dark Village - Niemand ist ohne Schuld
ist mit Sicherheit viel wichtiger als die Details rund um die Ereignisse am See. Es fehlt etwas Entscheidendes. Was, Kruse? Was ist das? Was glauben Sie? Was sagt Ihnen Ihr Bauchgefühl?“
Während sein Chef sprach, hatte Kruse immer wieder genickt und Ähm gesagt. Jetzt war er völlig überfordert. Verschwenden Sie meine Zeit nicht mit Offensichtlichem, aber sagen Sie Ihre Meinung … Was zum Teufel sollte er jetzt sagen?
Der Ermittlungsleiter verschränkte die Hände hinter dem Kopf und hob die Augenbrauen. Nun, Kruse. Ich warte.
„Ähm“, sagte Kruse zum fünften Mal innerhalb einer halben Minute. Er sollte wirklich die Klappe halten. Er war quasi dem Chef hinterhergeflogen, um seine Analyse der Vernehmung zum Besten zu geben, und jetzt fiel ihm kein einziger vernünftiger Satz ein.
„Tja“, sagte er. „Das mit dem Bauchgefühl ist schon so eine Sache …“
„Ach?“, sagte der Ermittlungsleiter.
„Ich weiß nicht so richtig.“
„Nein?“
„Ich … ich werde darüber nachdenken“, sagte Kruse.
„Na ja.“ Der Ermittlungsleiter ließ den Blick über den Schreibtisch wandern, entdeckte zwei leere Tassen und sagte: „In der Zwischenzeit können Sie ja noch ein bisschen Kaffee kochen, ja? Machen Sie die Kanne noch mal voll.“
„Ja.“ Kruse wandte sich zum Gehen. Dann kam ihm der Geistesblitz. „Sie sind zu zweit!“ Er fuhr herum und bohrte mit dem Zeigefinger zwei Löcher in die Luft. „Darum wirkt das Ganze so unlogisch. Es ist nicht ein Mann allein gewesen. Sie waren zu zweit! Wolff hatte Hilfe. Oder umgekehrt, Wolff hat jemandem geholfen! Darum trägt das Verbrechen nicht Wolffs Handschrift und darum verschweigt er uns was. Er hat Angst, einen Mitschuldigen zu verraten!“
„Aha“, sagte der Ermittlungsleiter trocken.
„Und?“, sagte Kruse. „Stimmt das? Ist es so gewesen? Sind Sie derselben Meinung?“
„Natürlich. Er hatte Hilfe. Sie waren zu zweit.“
„Yesss!“ Kruse konnte es sich gerade noch verkneifen, dem Chef die Hand zum High five hinzuhalten.
„Aber, Kruse“, sagte der Ermittlungsleiter und deutete auf die leere Tasse. „Vergessen Sie nicht, Kaffee aufzusetzen.“
4
Benedicte war der festen Überzeugung, dass es etwas war, das sie gesehen hatte. Auf dem Heimweg grübelte sie darüber nach. Ihre Intuition lenkte ihre Gedanken immer wieder nach Hause.
Zu Hause.
Aber wie konnte eine Erinnerung an früher, irgendwas bei ihr zu Hause, relevant für die Sache mit Wolff und Trine sein? Am liebsten hätte sie sofort losgesucht oder irgendwas getan, was sie einer Antwort näherbrachte.
Sie beeilte sich und war zwanzig Minuten früher zu Hause als sonst. Die Haustür war abgeschlossen, aber das war normal, wenn ihre Mutter allein war. Benedicte öffnete sie und ging hinein. Niemand rief: Hallo! Oder: Wie war dein Tag? Aber auch das war nicht unüblich. Ihr Vater würde erst in zwei oder drei Stunden von der Arbeit kommen, und ihre Mutter war meistens nicht mal in der Lage, einen zusammenhängenden Satz von sich zu geben.
Benedicte warf einen Blick in die Küche. Dort war niemand, und es sah auch nicht so aus, als hätte schon jemand mit dem Kochen begonnen. Sie betrat das Wohnzimmer. Keiner da.
„Mama?“
Sie schaute sich im Flur um und testete die Tür zur Toilette. Sie war offen und der Raum ebenfalls leer. Sie setzte einen Fuß auf die Treppe.
„Mama? Bist du da?“
Keine Antwort. Im Haus herrschte Totenstille.
Benedicte ging die Treppe rauf. Sie versuchte, nicht zu viel Lärm zu machen, aber ein paar Stufen quietschten trotzdem leise.
Wahrscheinlich hatte sich ihre Mutter im Schlafzimmer hingelegt und war eingeschlafen. Sie wollte sie auf gar keinen Fall wecken.
Wenn ihre Mutter so zugedröhnt war, dass sie die Augen nicht aufbekam, war es für alle am besten, wenn man sie in Frieden ließ. Weckte man sie in so einem Zustand, rappelte sie sich, blass und mager wie sie war, wieder auf. Dann zitterten ihre Hände und ihre Stimme war kaum mehr als ein trockenes Flüstern. Nein. Vielen Dank.
Schon auf dem letzten Treppenabsatz hörte Benedicte ein schwaches Röcheln. Sie öffnete die Tür zum Elternschlafzimmer. Ihre Mutter lag auf dem Rücken, mit ausgestreckten Armen und Beinen, und schnarchte.
Sie sah aus wie ein Strichmännchen aus einer Kinderzeichnung. Aber ohne Farbe. Nur weiß und hellgrau.
Leise schloss Benedicte die Tür wieder.
Sie schlich die Treppe runter und ging in die Küche, nahm sich einen großen Joghurt aus dem Kühlschrank und
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