Dark Village - Niemand ist ohne Schuld
eine Hose an, aber ihr Oberkörper war nackt.
Ihr Gesicht war Charlene zugewandt und ihr Mund stand halb offen. Automatisch hoffte Charlene, dass das ein Zeichen dafür war, dass Vilde atmete.
Aber ihre Augen waren geschlossen, und sie reagierte nicht, als Charlene wieder und wieder ihren Namen rief, während sie über ihre Stirn, ihr Haar und ihren Nacken streichelte.
„Vilde. Vilde. Vilde!“
Charlene versuchte, Vildes Puls zu fühlen, aber sie kam nicht an ihren Hals, sie fand nicht die richtige Stelle. Und Vildes Hände waren von ihrem Körper verdeckt, sie lag vornübergebeugt, die Arme vor dem Bauch verschränkt.
Es war nass in der Wanne, kleine nasse Pfützen, wie immer, wenn jemand geduscht oder gebadet hatte. Aber es konnte auch etwas anderes sein …
Sie konnte nicht erkennen, ob es Wasser oder Blut oder beides war. Die Badewanne war burgunderrot. Vor dieser Farbe ist Blut kaum zu erkennen, dachte Charlene.
Sie streckte eine Hand aus und tauchte den Finger in die Flüssigkeit. Sie rieb Daumen und Zeigefinger gegeneinander und betrachtete sie.
Please. God. This one thing. Das bist du mir schuldig.
Dienstag/Nick
Somewhere over the rainbow
Skies are blue
And the dreams that you dare to dream
Really do come true
Over the Rainbow , Judy Garland/Eva Cassidy
1
Sie lacht, als sie sie abholt. Sie ist groß und blond und stark geschminkt. Sie trägt einen kurzen Rock und hohe Absätze und ihre Fingernägel sind lang und rot. Und sie lacht. Aber nicht, weil sie sich so freut, sie zu sehen.
„Sie zahlen alles“, kichert sie. „Hotel und die Flugtickets und das Essen und alles. Ich hab es ja immer gesagt, als Sozialfall in Norwegen geht es einem fucking great!“
Sie treffen sie vor einem großen grauen Gebäude. Die Frau, die ihnen geholfen hat, ist dabei. Gemeinsam betreten sie das Gebäude und fahren mit dem Lift in eines der oberen Stockwerke. Sie gehen einen langen Flur entlang und durch eine Tür.
Katie und Nick sollen in einem kleinen Vorzimmer warten – es sieht fast so aus wie das Wartezimmer beim Zahnarzt, findet Nicholas –, während die Frau, die ihre Mutter zu sein scheint, mit der anderen Frau in einem Büro verschwindet.
Nach einer Weile hört Nicholas seine Mutter lachen und dann die Worte: Wie viel, sagten Sie? Jeden Monat? Sind Sie sicher? Dann berührt Katie seine Hand und lenkt ihn ab.
„USA“, sagt sie. „Stell dir das mal vor, Amerika.“
„Mmm“, macht Nicholas.
„Was heißt Ja auf Englisch?“, fragt Katie.
Sie haben in den letzten Tagen, seit sie wissen, wie es weitergehen soll, ein bisschen geübt.
„Yes“, sagt Nicholas.
„Und nein?“
„No.“
„Ich habe Hunger?“
„Hungry.“
„Nicht einfach nur hungry. Du musst noch mehr sagen. Weißt du nicht mehr?“
„Ich bin hungry“, sagt Nicholas und deutet auf sich.
„Ja.“ Katie muss lächeln. „O.k., das geht auch.“
„Sie spricht Norwegisch“, sagt Nicholas und nickt zur Tür mit der Glasscheibe. „Diese Mama.“
„Ja“, sagt Katie.
„Dann kann ich es auch auf Norwegisch sagen.“
„Das kannst du ganz bestimmt. Aber es schadet ja nichts, wenn du es trotzdem weißt.“
„Aber wir wohnen bei ihr zu Hause, oder?“
„Ich glaube, ja“, sagt Katie. „Erst mal, jedenfalls.“
„Gibt es da auch einen anderen Papa?“, fragt Nicholas. „Kriegen wir einen neuen?“
„Keine Ahnung.“
„Ich glaube, ich will keine Papas mehr“, sagt Nicholas.
Eine Woche später – die sie im Hotel verbracht haben – fliegen sie nach New York. Sie haben längst kapiert, wie man am besten mit der Mutter zurechtkommt: Man verhält sich ruhig, vor allem morgens, wenn sie am Abend vorher getrunken hat. Aber das sind sie gewöhnt, Nicholas und Katie. Mit ihrem Vater war es ganz genauso. Das einzige Problem mit der Mutter ist ihre Unberechenbarkeit. Bei ihrem Vater wussten sie eigentlich immer, woran sie waren – ging man ihm nicht auf die Nerven, lief es meistens ganz gut –, aber ihre Mutter ist launisch.
Manchmal will sie mehr Nähe. Sie will, dass sie bei ihr sind, mit ihr lachen und reden. Sie will sie umarmen und drücken. An anderen Tagen geht sie schon in die Luft, wenn sie ihr nur unter die Augen kommen. Was ist mit dir, Kind? Noch nie einen Menschen gesehen? Für wen hältst du dich, dass du mich so anglotzt? Kannst du mich nicht leiden, oder was? Bin ich dir vielleicht nicht gut genug? You are such a fuck, aren’t you? A fucking piece of shit. That’s what you are .
New York ist
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