DARKNET
Sicherheit.
Philips lauschte den Nachrichten, während sie am Esszimmertisch saß und das Plastik- RFID -Armband an ihrem Handgelenk inspizierte. Sie hielt es ans Licht, um durch das dünne Plastik schauen zu können. Boynton hatte gesagt, das Ding sei manipulationssicher, was vermutlich hieß, dass in Längsrichtung eine Drahtantenne eingebettet war, die bei einer Beschädigung des Armbands durchtrennt würde. Der gesamte Ranch-Komplex war mit RFID -Lesegeräten übersät – allein hier im Bungalow hatte sie sechs Stück entdeckt. Plötzlicher Signalverlust würde zweifellos einen Alarm für ihre RFID -Kennung auslösen und die Security auf den Plan rufen.
Wenn es ihr nicht gelang, sich von dieser digitalen Leine loszumachen, würde sie nichts tun können, ohne dass diese Leute es mitbekamen, schon gar nicht von hier verschwinden. Es wurde immer offensichtlicher, dass sie unter Hausarrest stand – zumindest bis zur Beendigung von Operation Exorcist. Aber dann wäre es zu spät. Dann hätten sie den Daemon übernommen und ihre Kontrolle gefestigt.
Philips wusste, dass ein RFID -Tag nichts weiter war als ein Chip mit einer Antenne. Es nahm Hochfrequenzenergie aus den Funkwellen des Lesegeräts auf, um den Chip zu aktivieren und seine individuelle Kennung auf einer bestimmten Frequenz zu senden. So konnte es der Sky Ranch Security seinen Standort übermitteln, ohne dafür eine Batterie zu benötigen.
Da kontaktlose RFID -Chipkarten und mobile RFID -Bezahlungssysteme üblicherweise ISO -Norm 15 693 entsprachen, funktionierte dieses Armband wahrscheinlich auf 13,56 MHz – einer kommerziellen Frequenz.
Philips hatte an Konferenzen teilgenommen, wo Hackergruppen demonstrierten, wie man mit selbstgebauten Vorrichtungen nach Belieben RFID -Kennungen abgreifen und spoofen konnte. Die Frage war, ob Philips aus dem, was sie hier im Bungalow vorfand, so etwas basteln konnte. Wenn sie diesen Leuten vorgaukeln könnte, sie sei hier, während sie in Wirklichkeit woanders war, bestand vielleicht doch noch Hoffnung, ihre Pläne zu vereiteln.
Das Haus war vollgestopft mit Verbraucherelektronik – aber das wenigste davon war drahtlos. Sie hatte ein paar Drahtlosgeräte auf dem Esszimmertisch zusammengetragen, um ihre FCC -Labels zu studieren.
Da waren das Handset und die Basisstation des schnurlosen Telefons – ein 1,9-GHz- DECT -Apparat. Kaum zu gebrauchen. Auch die TV - und Musikanlagen-Fernbedienungen funktionierten durchweg per Infrarot, nicht per Funk. Dann gab es noch den 2,4-GHz-Transmitter im Laptop. Das war hier auf der Ranch zwar ein erheblich dichter bevölkerter Frequenzbereich, aber für die Interaktion bei 13,56 MHz auch nicht zu gebrauchen. Und natürlich hatte sie noch den Fernbedienungsschlüssel ihres Acura TL , der aber, wenn sie sich recht erinnerte, irgendwo im Bereich 300–400 MHz operierte. Doch am selben Schlüsselkettchen hing auch ihr RFID -Anhänger für das Tankstellenbezahlsystem. Den hatte sie auseinandergenommen, und zum Vorschein gekommen war eine kleine, durchsichtige Plastikkammer, die eine winzige Platine und eine damit verbundene Kupferdrahtspule enthielt. Die Frequenz stimmte, aber es gab ein anderes Problem: Der Code war vom Hersteller in die Platine eingebrannt. Unveränderbar – theoretisch jedenfalls. Und sie hatte kein Spezialwerkzeug.
Philips sah wieder auf den Fernseher mit den Kabelkanalnachrichten. Außer den Kämpfen im Mittleren Westen hatte jetzt auch noch eine Serie größerer Internetausfälle «die Nation heimgesucht» – so formulierten es jedenfalls die Medien. Man schob es auf Sabotage. Auf einheimische «Terroristen», die wichtige Faseroptikkabel an sensiblen Knotenpunkten sprengten. Es war perfide: Das, was sie selbst taten, um die Darknet-Communities zu bekämpfen, benutzten sie als Rechtfertigung für noch drakonischere Maßnahmen. Und überall sah man auf Videoclips adrett uniformierte private Sicherheitskräfte, die bedrängten Ortschaften zu Hilfe eilten und Telekommunikationsverbindungen wiederherstellten. Wie konnte das alles möglich sein? Wie konnten sie damit durchkommen?
Philips seufzte verzweifelt – und erstarrte dann plötzlich. Auf der Wand vor ihr war eine Botschaft in leuchtend roter Laserschrift erschienen:
Das Zimmer ist verwanzt.
Das Buttermesser, das sie als Schraubenzieher hatte benutzen wollen, fiel ihr klirrend aus der Hand. Die Leuchtbotschaft veränderte sich in:
Nichts sagen, Dienstbotentür öffnen.
Sie drehte sich
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