Darkover 03 - Herrin der Falken
Orain.«
Er nickte. »Nichts zu danken. Ich wünschte, mir hätte ein Freund den Kopf aus der Weinkanne gehauen, als ich in deinem Alter war. Jetzt ist es zu spät.« Er hob seinen eigenen Becher und tat einen tiefen Zug. Romilly blieb satt und schläfrig sitzen, als Orain wieder vor die Zielscheibe trat. Er forderte sie auf, mitzuspielen. Aber sie schüttelte den Kopf. Angenehm müde hörte sie den Gesprächen an der Theke zu.
»Gut geworfen! Genau ins Auge des Königs, den du nicht
leiden kannst!«
»Ich hörte, Carolin sei in den Hellers, weil die Hali’imyn zu verweichlicht sind, um ihm da oben nachzusetzen – sie könnten sich ihre zarten Steißknochen erfrieren!«
»Ob Carolin hier ist oder nicht, es gibt genug Leute, die auf seiner Seite stehen. Er ist ein guter Mann!«
»Was Carolin auch sein mag, ich werde mich jeder Partei anschließen, die diesem Bastard Lyondri den Strick um den Hals legt, wie er es verdient! Habt ihr gehört, was er dem alten Lord di Asturien angetan hat? Er hat ihm das Haus über dem Kopf angezündet, dem armen alten Mann, und er und seine alte Dame hätten in Nachtgewändern und Pantoffeln auf der Straße gestanden, wenn einer ihrer Waldarbeiter sie nicht hereingeholt und ihnen einen Platz gegeben hätte, wo sie sich hinlegen konnten…«
Nach einer Weile begann Romilly zu träumen. Carolin und der Usurpator Rakhal, die Gesichter wie große Bergkatzen hatten, schlichen durch die Wälder und griffen sich gegenseitig an. Schrille Falkenschreie ertönten, als schwebe sie selbst hoch oben am Himmel und sehe dem Kampf zu. Sie flog über einen weißen Turm, und Ruyven winkte ihr von den Zinnen aus zu. Dann hatte er Flügel, flog neben ihr her und versicherte ihr ernst, Vater werde das nicht billigen. Feierlich erklärte er: »Der Lastenträger sagt, einem Menschen sei es verboten, zu fliegen, und das ist der Grund, warum ich keine Flügel habe.« Damit
fiel er wie ein Stein. Romilly wurde vor Schreck wach und merkte, daß Orain sie leicht schüttelte.
»Komm, Junge, es ist spät, die Türen werden geschlossen, wir müssen ins Kloster zurück!«
Sein Atem roch nach Wein, er sprach undeutlich, und Romilly fragte sich, ob er noch gehen könne. Sie legte ihm seinen Mantel um die Schultern, und sie traten in die frostklirrende Dunkelheit hinaus. Es war sehr spät; die meisten Häuser waren dunkel. Irgendwo bellte aufgeregt ein Hund. Sonst war kein Laut zu hören. Der blasse, kalte Schein des blauen Mondes Kyrrdis lag als einziges Licht auf den Giebeln der Stadt. Orains Schritte waren unsicher. Er hielt sich mit einer Hand an der nächsten Häuserreihe fest. Aber als sich die schmale Straße auf eine Treppe öffnete, stolperte er auf dem Kopfsteinpflaster, fiel der Länge nach hin und heulte in trunkener Überraschung auf. Romilly half ihm auf die Beine und meinte belustigt: »Ihr solltet lieber meinen Arm nehmen.« Hatte er dafür gesorgt, daß sein Gefährte nüchtern blieb, um auf dem Rückweg zum Kloster einen Führer zu haben? Romilly war recht gut darin, einen Weg wiederzufinden, den sie schon einmal gegangen war. Es gelang ihr, ihn bergauf in den Schatten des Klosters zu dirigieren.
»Wißt Ihr genau, daß Carolin in der Stadt ist, Orain?« fragte sie schließlich leise. Er jedoch spähte ihr mit dem Argwohn des Betrunkenen ins Gesicht. »Warum willst du das wissen?« Sie zuckte die Schultern und ließ das Thema fallen. Sobald er wieder nüchtern war, wollte sie mit ihm darüber reden. Wenigstens hatte der Wein ihm nicht die Zunge gelockert; er würde nichts von seinen Aufgaben und Plänen ausplaudern. Während sie die letzte steile Straße hochgingen, die in den Hof des Gästehauses führte, umklammerte er fest ihren Arm.
Manchmal legte er ihr auch einen Arm um die Schultern, aber Romilly entzog sich ihm. Wenn er sie so eng an sich drückte, wie es Rory getan hatte, entdeckte er vielleicht, daß unter der schweren Kleidung eine Frau steckte.
Ich mag Orain gern und möchte ihn gern achten, aber wenn er wüßte, daß ich eine Frau bin, wäre er wie alle anderen…
Immer schwerer stützte er sich auf sie. Einmal wandte er sich von ihr ab, knöpfte seine Hose auf und erleichterte sich gegen eine Hauswand. Romilly war nicht zum ersten Mal dankbar für ihre ländliche Erziehung, die es ihr ermöglichte, so etwas hinzunehmen, ohne zu erröten. Hätte sie immer nur im Haus gesessen wie Luciella oder ihre jüngere Schwester, würde sie ein Dutzend Mal am Tag aus der
Weitere Kostenlose Bücher