Darkover 03 - Herrin der Falken
oben im Berg, wo der Heilige gelebt haben und gestorben sein sollte, eine Werkstatt, die, wie er sagte, die beste Hufschmiede nördlich von Armida sei, einen Zuckerbäcker, bei dem, wie er grinsend erzählte, die Studenten aus dem Kloster an den Feiertagen ihr Taschengeld ließen. Romilly war zumute, als sei sie einer ihrer Brüder, unbehindert von all den Vorschriften, die das Benehmen der Frauen regelten. Mit Orain verstand sie sich so gut, als habe sie ihn ihr Leben lang gekannt. Er hatte den ländlichen Dialekt völlig
vergessen und sprach mit angenehmer, kultivierter Stimme, die nur, wie bei Alderic, einen Hauch von Tiefland-Akzent hatte.
Sein Alter konnte Romilly nicht erraten. Er war bestimmt kein junger Mann mehr. Andererseits hielt sie ihn für nicht so alt wie ihren Vater. Seine Hände waren rauh und schwielig wie die eines Schwertkämpfers, aber die Nägel waren sauber und gepflegt, nicht schmutzig und abgebrochen wie die der anderen Gefolgsleute Dom Carlos.
Er mußte wohlgeboren sein, wenn er der Pflegebruder des vertriebenen Carolin gewesen war. Ihr Vater, davon war sie überzeugt, hätte ihn willkommen geheißen und ihm die Ehren erwiesen, die einem Edelmann zustehen. Und obwohl Dom Carlo ihn nicht ganz als seinesgleichen behandelte, zeigte er ihm doch Zuneigung und Achtung und holte in allen Dingen seinen Rat ein.
Gegen Abend führte Orain sie in eine Garküche und bestellte eine Mahlzeit. Romilly meinte, protestieren zu müssen. »Ihr solltet nicht… ich kann meinen Anteil bezahlen.«
Orain zuckte die Schultern. »Ich esse nicht gern allein. Und Dom Carlo hat angedeutet, er habe heute abend einen anderen Fisch zu braten.«
Romilly neigte den Kopf und nahm die Einladung mit Würde an. Sie war noch nie in einer öffentlichen Gastwirtschaft oder Garküche gewesen. Es fiel ihr auf, daß außer der fetten Kellnerin, die Geschirr vor sie hinknallte und wieder verschwand, keine Frau anwesend war. Wüßte Orain, daß sie ein Mädchen war, hätte er sie nie hierhergebracht. Wenn eine Dame, so unvorstellbar es war, das Lokal beträte, würde alles voller Ehrerbietung um sie herumspringen. Niemals würde man sie als selbstverständlich hinnehmen, und erst recht nicht hätte sie sich bequem hinlümmeln können, die Füße auf der Bank gegenüber. Vergnügt nippte Romilly an ihrem Becher mit Apfelwein, während herrliche Küchendüfte den Raum zu füllen begannen. Nein, es war besser, sie blieb ein Junge. Sie hatte anständige Arbeit und verdiente alle zehn Tage drei Silberstücke. Keine Köchin, kein Milchmädchen durfte auf eine so gute Bezahlung hoffen. Romilly erinnerte sich daran, was Rorys Großmutter von der Zeit vergangenen Reichtums erzählt hatte. Wenn ihr Mann nicht mit ihr schlafen konnte, wurde er zu dem Milchmädchen geschickt, ohne daß sich irgendwer Gedanken darüber machte, was das Milchmädchen davon hielt. Lieber wollte sie ihr ganzes Leben in Hosen und Stiefeln verbringen, als auch noch diese Pflichten auferlegt zu bekommen!
Romilly ertappte sich bei der Überlegung, ob auch Luciella dergleichen von ihren Dienstboten verlangte. Zuweilen mußte es geschehen, denn da war Neldas Sohn. Es bereitete Romilly Unbehagen, in dieser Weise an ihren Vater zu denken, und sie hielt sich vor, daß er ein Cristofero war… aber machte das einen Unterschied? In der Welt, in der sie aufgewachsen war, galt es als selbstverständlich, daß ein Edelmann Bastarde und Nedestro-Söhne und –Töchter hatte. Romilly hatte eigentlich nie über deren Mütter nachgedacht.
Sie rutschte auf ihrem Sitz herum, und Orain fragte grinsend: »Hungrig? In der Küche da drüben riecht etwas sehr gut.« Ein halbes Dutzend Männer warf Pfeile nach einem Brett an der hinteren Wand, andere würfelten. »Sollen wir Pfeile werfen, Junge?«
Romilly schüttelte den Kopf und wandte ein, sie kenne das Spiel nicht. »Aber laßt Euch von mir nicht aufhalten.«
»Du wirst es nie jünger lernen«, sagte Orain, und schon fand Romilly sich mit einem Pfeil in der Hand wieder.
»Halte ihn so«, wies Orain sie an, »und laß ihn einfach fliegen. Du brauchst ihn nicht mit Kraft zu werfen.«
»So ist’s richtig«, bemerkte einer der Männer, der in der Menge hinter ihr stand. »Stell dir einfach vor, der Kreis auf der Wand sei der Kopf König Carolins und du habest Aussicht auf die fünfzig Kupfer-Reis, die darauf als Belohnung ausgesetzt sind!«
»Lieber stelle ich mir vor«, erklang eine verbitterte Stimme, »daß das der
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