Darkover 04 - Der Untergang von Neskaya
Bewusstsein zu Bewusstsein sprechen und einander in perfekter Klarheit verstehen. Kein Mensch wird mehr im Stande sein, den anderen zu täuschen.
23
In den letzten drei Tagen der Reise zur Verborgenen Stadt in der Nähe von Arilinn, wo der Comyn-Rat seine Versammlung abhielt, zuckten trockene Blitze über den Sommerhimmel. Taniquels Haut prickelte vor rastloser, angestauter Energie. Sogar Lady Caitlin, die als Leronis und Anstandsdame unter König Rafaels Gefolge war, schlief schlecht, aß wenig und begann Sätze, die sie mittendrin abbrach.
Taniquel hatte den Appetit verloren, als ihre Milch versiegte, doch selbst die leeren Brüste taten ihr weh, und nachts stellte sie fest, dass sie die Hand nach Julian ausstreckte. Mehr als einmal hatte sie ihr Gesicht in den Kissen vergraben, um zu verhindern, dass sie laut aufschrie. Niemand hatte sie gezwungen, ihn bei einem Kindermädchen zurückzulassen. Sie wusste selbst, wie gefährlich es war, ihn auch nur in die Nähe von Deslucidos Einflussbereich zu bringen. Als sie von der Aufforderung des Comyn-Rats erfahren hatte, war sie in die Gemächer ihres Onkels geplatzt, wo er gerade sein Abendessen zu sich nahm.
Ihr Onkel hatte sie mit der gleichen Mischung aus Sanftmut und Duldsamkeit angesehen wie früher nach ihren schlimmsten Kinderstreichen. »Wir wären auf jeden Fall verpflichtet teilzunehmen«, erklärte er, »oder einen entsprechend wichtigen Stellvertreter zu schicken. Immerhin bin ich ein Hastur von Hastur.«
Er hatte sich wieder über seine kalte Kirschsuppe gebeugt.
Sicher ging der Rat noch anderen berechtigten Anliegen nach, obwohl Taniquel sich fragte, welche das sein mochten. In all den Jahren in Thendara und dann in Acosta hatte sie nichts mit dem Rat zu tun gehabt, da sie weder eine Erbin war noch ausreichend Laran besaß, um seiner Aufmerksamkeit wert zu sein. Seine regelmäßigen Versammlungen kamen und gingen, ohne dass es ihr bewusst gewesen wäre.
»Das könnte unsere größte Hoffnung auf eine friedliche Lösung sein«, sagte Rafael. »Deslucido glaubt vielleicht, er könnte den Rat für seine eigenen Zwecke benutzen, aber letzten Endes sind sie es, die über ihn herrschen. Wie der Wildhund zum Lagerfeuer kriecht und dabei nur an die Wärme und einen gefüllten Bauch denkt, so kann Deslucido nicht in die Welt der Comyn eintreten, ohne sich dem Willen des Rates zu beugen.«
Du kennst Deslucido nicht, Taniquel senkte den Blick und blieb stumm.
Einst hatte sie die Anreise zu einem Ratstreffen als Abenteuer betrachtet, doch als die Türme von Arilinn und die Verborgene Stadt jetzt immer näher kamen, schmerzte ihr Kopf von dem andauernden Druck, den sie von dem Tag kannte, an dem Acosta angegriffen worden war. Als Warnung war das nutzlos, denn diese Gefahr kannte sie schon, und höchstwahrscheinlich drohte auch hier Verrat.
Sie hatte sich hartnäckig geweigert, die Kutsche mit Lady Caitlin zu teilen, und ließ jetzt, während sie dahinritt, die Zügel auf den Pferdenacken fallen, presste beide Hände an ihre Schläfen und massierte sich die verspannten Muskeln. Eine der Wachen musste das gesehen haben, denn wenige Minuten später wurde das Zeichen zur Rast gegeben, und sie wurde zu ihrem Onkel gerufen. Er fragte, ob sie sich unwohl fühle, und ihr wurde klar, wie einfach es wäre, ihre Ankunft um einige Stunden zu verzögern.
Doch sie schüttelte den Kopf und sagte, sie würde sich ausruhen, wenn sie in der Stadt eingetroffen wären. Sie nahm etwas Wein zu sich und bedauerte es gleich wieder, weil der Geschmack sauer und schwer auf ihrer Zunge zurückblieb.
Sie hatte schon immer gewusst, wie viel größer Thendara als Acosta war, denn es war die größte Stadt auf ganz Darkover, und alles dort, von dem speziellen Cahuenga-Dialekt bis zu seinen beiden Türmen, unterstrich den Unterschied. Acosta, das einst alles gewesen war, was sie sich ersehnte, erschien im Vergleich dazu ärmlich. Arilinn, obwohl kleiner, war nicht weniger großartig.
Zwei Berge lagen hinter der Stadt und rahmten sie wie ein kostbares Juwel ein, das in vielen Farben und Facetten schimmerte, im Schatten des Turmes gleichen Namens gelegen, der bei weitem das größte Bauwerk war. Schon als kleines Kind hatte Taniquel Geschichten über seinen rätselhaften Schleier und die in Karmesinrot und Gold gekleideten Wachen gehört. Nun ließ ihr Herz nicht zu, den Anblick mit gebührender Freude in sich aufzunehmen.
Zwischen den beiden Zwillingsgipfeln, von Arilinn aus leicht zu
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