Darkover 04 - Der Untergang von Neskaya
ein Bewahrer, bei allen gefrorenen Höllen Zandrus, und er sollte es eigentlich wissen!
»Eine Art Rückstoß«, murmelte Ginevra. Sie klang betrunken oder halb in Trance. »So etwas habe ich noch nicht erlebt… «
Rumail bündelte die letzten ihm verbliebenen Kräfte und wuchtete sich in die Senkrechte, stolperte die zwei Schritte zu Darnas Bank. Sie saß noch immer vorgebeugt, das Gesicht von Schatten verborgen und umgeben von einem Sturzbach rotschwarzen Haars. Ihre Schreie wollten nicht enden. Sie klangen jetzt heiser, wie aus einer blutigen Kehle.
Dann sah er Ginevras Miene. Sie hatte sich vor das Mädchen gekniet, die Augen halb geschlossen; das Weiß glitzerte, die Lippen waren gewölbt und teilweise geöffnet. Sie genoss Darnas Leid, erkannte er.
Genoss es so intensiv, dass es an sexuelle Ekstase grenzte.
Rumail fröstelte, und sein Magen drehte sich um. Galle füllte seinen Mund, und auf der Stirn brach ihm kalter Schweiß aus.
Sie - sie labte sich am Leid des Mädchens.
Rumail packte Ginevra und zerrte sie nach hinten, ohne darauf zu achten, ob sie hinfiel. Er nahm Darnas Gesicht in beide Hände und hob es ans Licht. Ihr Gesicht und ihre Hände wiesen blutrote Striemen auf, wo mentale Energie sich durch die Kanäle gebrannt und die kleineren Nadis unter der Haut verschmort hatte. Den inneren Schaden konnte er lediglich schätzen. Doch ihre Augen…
Sie waren nicht mehr von einem weichen Grünbraun und von hinreißend gewölbten Wimpern gekrönt. Von den Lidern und Augäpfeln war nichts mehr übrig. Beide Augenhöhlen, von der Braue bis zum Wangenknochen, waren ein lichtloses, verkohltes Schwarz.
»Ginevra!«, brüllte er und schnellte herum. »Das ist dein Werk, nicht wahr?«
Die Überwacherin rappelte sich dort auf, wo sie gestürzt war, und strich die Falten ihres weißen Gewands glatt. Sie begegnete seinem Blick mit einem unverschämten Starren. »Und wenn es so ist? Was willst du dann dagegen tun? Du bist hier der Bewahrer.
Kennst du nicht die oberste Regel eines Bewahrers, dass er allein für alles verantwortlich ist, was auch immer im Kreis geschieht?« Sie drängte sich an ihm vorbei zur Tür. Entsetzt machte er keinerlei Anstalten, sie zu hindern.
Darnas Schreie verklangen zu einem Winseln. sie schien in sich zusammenzufallen, als sie seitwärts kippte und zu Boden glitt. Steif beugte er sich über sie. Bevor er sie berühren konnte, zuckten ihre Muskeln krampfartig und entspannten sich dann.
Sie lag sehr, sehr still.
Der Junge streckte sich und gähnte, wobei sein Kinn hörbar knackte. »Ist noch nicht Essenszeit?« Rumail ließ sich auf Darnas Bank nieder und schlug die Hände vors Gesicht. Noch nie in all den Jahren, nicht einmal, als er zur Bekanntgabe seiner Verbannung vor dem Bewahrer in Neskaya gestanden hatte, war er so grenzenlos gescheitert. Das Experiment der heutigen Nacht war von Anfang an verhängnisvoll gewesen.
Und dies waren die Besten, die ich finden konnte! Es ist hoffnungslos! Hoffnungslos!
Seine Schultern sackten herunter. Ihm wurde klar, dass er einen Schock hatte, denn sonst hätte er geweint, ohne sich der Tränen zu schämen.
Nur Menschen lachen, nur Menschen weinen, nur Menschen tanzen. Das alte Sprichwort ging ihm durch den Sinn.
Bitteres Lachen stieg in ihm auf. Was konnte er schon noch tun, als aufzustehen und zu tanzen?
Im Nu verschwand seine düstere Stimmung. Was hatte er erwartet, bei diesem Rohmaterial - zwei Heranwachsenden, die schon zu alt für eine anständige Ausbildung als Novize waren, und einer perversen, sadistischen Überwacherin? Das Scheitern hatte nichts mit ihm zu tun. Niemand, nicht einmal Aldones, hätte aus ihnen einen richtigen Kreis machen können.
Aber es gab da draußen schon einen voll ausgebildeten, funktionierenden Turm… Tramontana. Er hatte seine Lehnstreue zu Ambervale noch nicht gänzlich anerkannt, und vielleicht tat er es nie. Selbst nach seinem Tod war Kierans Einfluss gewaltig. Wenn nicht Tramontana, dann eben ein anderer Turm. Vielleicht würde sich sogar Neskaya seinem Willen beugen.
Eines Tages würde er ein Bewahrer sein. Er musste einer werden. Es war sein Schicksal, das Mittel, durch das er die Zukunft Darkovers formen konnte, während Damian weiter vor sich hin träumte.
Einige Zehntage später waren die Gesandten von Hastur zurückgekehrt, hatten Bericht erstattet und sich unter Verbeugungen rückwärts gehend aus den Privatgemächern des Königs in Burg Ambervale entfernt. Damian Deslucido wandte
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