Darkover 04 - Der Untergang von Neskaya
gut sichtbar, verstellten ihr den Weg. Der ältere Mann hatte das hellrote Haar seiner Kaste, vermutlich ein Kadettensohn aus einem der größeren Häuser, der mit den Wachen unterwegs war, um seine Bürgerpflicht zu erfüllen.
Ausdruckslos taxierten die Wachen sie mit einem flüchtigen Blick und wollten sie gleich wieder fortschicken. Sie wirkte wohl wie ein vogelfreies Flittchen, wenn nicht noch schlimmer, so zerzaust, schmutzig und erschöpft von der Reise. Doch sie hob den Kopf mit dem ganzen Stolz einer Comynara und bat um Einlass.
»Was führt dich in die Stadt?«, fragte der Rotschopf und verzichtete auf jede höfliche Anrede.
Sie neigte kurz den Kopf, wie es sich gegenüber einem unentbehrlichen, aber widerspenstigen Diener geziemte. »Ich habe eine dringende Botschaft für König Rafael Hastur, den zweiten Träger dieses Namens. Geleitet mich unverzüglich zu ihm.«
Die jüngere Wache schnaubte spöttisch: »Dann nenn uns die Botschaft.«
»Sie ist für seine Ohren bestimmt, nicht für eure«, sagte Taniquel. »Er wird es euch nicht danken, wenn ihr mich aufhaltet.«
»Hör mal, Missy, wir können nicht einfach jedes Gesocks in die Stadt lassen«, sagte der Ältere. »Jeder kann behaupten, was du behauptest, oder lügen oder, schlimmer noch, Böses im Schilde führen. Woher sollen wir wissen, dass Ihre Majestät dich von einem Sack Rotwurz unterscheiden kann?«
Taniquel unterdrückte den Impuls, der Wache mit der leeren Satteltasche ins höhnisch grinsende Gesicht zu schlagen. »Ihr müsst mir schon glauben - auf Grund meiner Redeweise und meines Auftretens -, dass ich nicht das bin, was ich zu sein scheine. Ich war lange unterwegs und unter schwierigen Umständen. Wenn ihr keine Entscheidung treffen könnt, dann bringt mich zu jemandem, der es kann.«
»Mach dich auf den Weg!«, sagte die ältere Wache und deutete in Richtung Unterstadt. »Gib deine Geschichten auf dem unteren Markt zum Besten. Für ein paar wohlfeile Tiraden kannst du dir vielleicht ein Bett für die Nacht ergattern, wenn dir der Sinn danach steht, oder eine warme Mahlzeit. Aldones weiß, dass du es brauchen kannst.«
»So lasse ich mich nicht abspeisen!« Taniquel stampfte mit dem Fuß auf und zuckte zusammen, als ihre wunde Ferse auf einen Pflasterstein traf. »Ich verlange meinen Onkel zu sehen, Rafael Hastur!«
Die Wachen wechselten einen Blick und grinsten noch mehr.
»Aha, jetzt ist es also schon ihr Onkel, was? Man könnte dich in den Cortes unter Anklage stellen, für das Verbreiten von Lügen. Halt dich besser an deinesgleichen.« Die jüngere Wache nahm sie am Ellenbogen.
»Wie kannst du es wagen!« Taniquel entriss ihm den Arm.
»Wenn ihr auch nur den Verstand eines Zwerghuhns besäßet, würdet ihr sofort erkennen, dass ich keine… keine… « Sie brachte es nicht über sich, das Wort Prostituierte auszusprechen.
»Männer mit einiger Urteilskraft lassen sich nicht von teurer Kleidung oder Federn blenden und sich auch nicht durch deren Fehlen täuschen!«
Die jüngere Wache griff wieder nach ihr, sichtlich in der Absicht, sie diesmal weniger sanft zu behandeln.
»Ich bin Taniquel Elinor Hastur-Acosta, Tochter von Jerana, König Rafaels Schwester!«
Der junge Mann ließ seine Hand fallen, als hätte er sich verbrannt. Sein Gesicht wurde kalkweiß, als er zum ersten Mal in Betracht zog, dass sie die Wahrheit sagen könnte, und welches Schicksal ihn vielleicht erwartete, weil er sie schlecht behandelt hatte.
»Damisela«, sagte die ältere Wache, »finden wir am besten heraus, ob Ihr die Wahrheit sprecht. Kommt mit.«
Mit einer gewissen Höflichkeit führte die ältere Wache sie durch die überfüllten Straßen und Seitengassen zum Dienstboteneingang der Burg, wo sie von einem Adlatus des Coridom begrüßt wurden, einem eilfertigen Mann mittleren Alters. Er bot ihr Jaco und braunes Brot an und fragte die Wache, ob sie Verwandtschaft in der Stadt habe.
»Sie behauptet, die Tochter des Königs zu sein«, sagte die Wache und hob eine Braue, um seinem Unglauben Ausdruck zu verleihen. Rafael Hastur hatte nur Söhne gezeugt, wie jeder in Thendara wusste.
»Nichte«, sagte sie, ohne dass jemand darauf einging. Sie begriff, dass jede weitere Erwähnung ihres Onkels dazu führen musste, dass man sie schließlich hinauswarf. Wenigstens befand sie sich jetzt in der Burg, was schon ein Fortschritt war.
»Ich begreife einfach nicht, warum Ihr sie hierher gebracht habt, wo ich mich doch um so viele weitaus wichtigere
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