Darkover 05 - Zandrus Schmiede
unverzeihlicher Bruch der Turmetikette gewesen, und mehr als das, er hätte sie in ihrem Stolz gestört, den sie wie einen Mantel trug.
»Das mag ja sein«, erklärte einer der anderen Männer. »In Notfällen können Menschen - also auch Frauen - außergewöhnliche Dinge tun. Das ist nicht das Gleiche wie eine verlässliche Begabung. Deshalb bestehen wir auf Disziplin und Tradition. Von neuesten Novizen bis zum ehrwürdigsten Bewahrer sind wir alle durch die gleichen Maßstäbe gebunden. Wir geben keine Versprechen, die wir nicht erfüllen können. Niemand darf in einem Kreis arbeiten, wo der Geist der anderen von seinen Fähigkeiten und seiner Kompetenz abhängt, bis er vollkommen ausgebildet und geeignet ist.«
»Ein einziger Vorfall macht noch keinen Bewahrer«, schloss Gavin sich an.
Köpfe nickten zustimmend.
Varzil stand auf, und das Gemurmel verklang. Alle Blicke wandten sich ihm zu. Er war immerhin Austers auserwählter Nachfolger, der Unterbewahrer von Arilinn.
»Wir leben in außergewöhnlichen Zeiten«, erinnerte er sie. »Zeiten sowohl von Katastrophen als auch von Versprechen, von Hoffnung und Prüfung. Unsere Väter sahen die Zerstörung zweier großer Türme. Sie führten ihr Leben in einer Welt, die den Verstand verloren hatte und am Rand des Untergangs stand. Wir haben die Chance, eine neue Welt zu errichten, uns neue Möglichkeiten vorzustellen. Wer wollte schon sagen, ob ein weiblicher Bewahrer nicht eine davon ist?
Was steht hier wirklich auf dem Spiel?«, fragte er und begann, auf und ab zu gehen, denn die Energie, die ihn durchflutete, gestattete ihm nicht mehr, still zu stehen. »Wenn wir Recht haben, wenn Felicias Aufrechterhalten des Kreises ein Anzeichen ihrer wahren Begabung ist - nun, dann wird man uns einmal als Pioniere, als Visionäre betrachten. Es gibt ohnehin zu wenig Türme, und die sind zu weit voneinander entfernt. Der Wiederaufbau von Tramontana hat unsere Mittel noch mehr ausgedünnt. Könnt ihr euch vorstellen, was es bedeuten würde, wenn wir für die Ausbildung zum Bewahrer sowohl Laran-begabte Frauen wie Männer zur Verfügung hätten?«
Sie waren derzeit viel weniger als damals, als Varzil nach Arilinn gekommen war. Baraks Kreis hatte nur das absolute Minimum an Mitgliedern. Andere, darunter ein ausgesprochen viel versprechender Junge aus Marenji, waren aus den üblichen Gründen gegangen: Krieg, Heirat, Veränderung der Machtverhältnisse in den kleinen Königreichen. Es war überall das Gleiche. Halis zweiter Bewahrer war nun in dem neuen Turm in Tramontana und hatte einige der erfahrensten Arbeiter mitgenommen.
Einige der älteren Leute, Lunilla und Richardo, wichen mit entsetzten Mienen vor dem Gedanken zurück. Nur Auster lauschte ungerührt. Varzil fürchtete, dass er seine Zuhörer zu weit getrieben und damit verloren hatte.
Er hob versöhnlich die Hände. »Ich sage nur, dass wir nichts verlieren, wenn wir Felicia eine Chance geben. Wenn du Recht hast und dieses Ereignis eine Abweichung war, eine kurzlebige Brücke, bis ich den Kreis übernehmen konnte, dann sind wir nicht schlechter dran als zuvor.«
»Sollen andere auf eigene Gefahr mit der Tradition brechen«, sagte Barak. »Arilinn wird sich an die alten Wahrheiten halten, die Prinzipien, die uns groß gemacht haben. Es hat hier nie eine als Bewahrer ausgebildete Frau gegeben, und es wird auch keine geben.«
Diese Dummköpfe!, dachte Varzil verärgert. Hier lag ein Schatz vor ihren Füßen, und sie entschieden sich dafür, sich hinter Traditionen zu verschanzen.
Zur Hölle mit der Tradition! Die Hälfte der Anwesenden schreckte sichtlich zurück.
Felicia erhob sich. Sie sah Barak, Arilinns einzigen verbliebenen Bewahrer, mit ruhigem Blick an. »Vai dom, macht Euch um meinetwillen keine Gedanken. Ich möchte nicht die Ursache von Uneinigkeit in diesem Turm sein. Ich stehe wie stets im Dienst von Arilinn. Solange ich hier bleibe, werde ich mein Bestes in jeder Stellung tun, die mein Bewahrer für angemessen hält.«
Selbst Liriel Hastur hätte nicht huldvoller sprechen können. Felicia setzte sich unter einem Aufflackern von Zustimmung. Auster lächelte und nickte ihr zu.
Varzil konnte keinen Fehler an Felicias Worten finden. Er beneidete sie um ihre Fähigkeit, das zu sagen, was man so eindeutig von ihr erwartete, und weniger zu scheinen, als sie war. Vielleicht lag es daran, dass sie genau das schon so viele Jahre geübt hatte.
Carlo, ich und nun Felicia… Wir alle verhalten uns still und
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